Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 02.11.2002

Ist Kurt Fischer doch ein Opfer?

Mysteriöse Mitschnitte lassen die geplante Entführung des Landrats Andreas Schramm in neuem Licht erscheinen
 
CHEMNITZ. Als das Oberlandesgericht Dresden (OLG) in diesem Sommer Kurt Fischers Traum von einer dritten Auflage seines Strafverfahrens zerstörte, da glaubten viele, dass die jahrelangen juristischen Verrenkungen um den vielleicht abenteuerlichsten Fall der neueren sächsischen Kriminalgeschichte endlich zu Ende seien. Die OLG-Richter hatten eine Beschwerde des früheren Sparkassenchefs zurückgewiesen, die sich gegen das Nein des Chemnitzer Landgerichtes zur erneuten Wiederaufnahme des Prozesses um die geplante Entführung des Mittweidaer Landrates Andreas Schramm (CDU) richtete.

Doch nach dem sensationellen Auftauchen bisher unbekannter Tonbandaufzeichnungen und Protokolle wird die dubiose Geschichte vom Herbst 1995 nun wieder höchst interessant. Erweisen sich die Mitschnitte als authentisch, dann wäre der 44-jährige Fischer wohl unschuldig im Gefängnis gewesen, während Hauptbelastungszeuge Rainer Kapelke (54) befürchten müsste, nachträglich hinter Gitter zu wandern. Zudem könnten die Aufzeichnungen zweier Gespräche, die Fischer und Kapelke am 21. und 26. Oktober 1995 geführt haben sollen, die Ermittlungsbehörden in Erklärungsnot bringen.

Zugespielt wurden die Dokumente mit unbekanntem Absender dem SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle. Der 57-Jährige war bereits treibende Kraft bei den Miet- und Rabatt-Querelen um Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU), die mit dem vorzeitigen Abschied des Landesvaters endeten. Dabei hatte er immer wieder auch anonyme Hinweise erhalten. Seit einiger Zeit befasst sich Nolle nun mit vermuteten Politskandalen im Landkreis Mittweida.

Die Verurteilung von Kurt Fischer zu drei Jahren Freiheitsentzug wegen Verabredung zum erpresserischen Menschenraub durch das Chemnitzer Landgericht, die Bestätigung dieser Entscheidung in einem zweiten Prozess in Zwickau, die Zurückweisung von Fischers Revisionsantrag durch den Bundesgerichtshof, der die „Verabredung“ zum „Sichbereiterklären“ umdefinierte - all das basierte auf der unerschütterlichen Überzeugung der Richter, Fischer und Kapelke hätten an jenem 21. Oktober 1995 bei einem Parkspaziergang im Bayerischen vereinbart, Fischers Intimfeind Schramm zu entführen. Zudem glaubten die Juristen, dass die beiden am 26. Oktober in Fischers Mittweidaer Büro Details des haarsträubenden Vorhabens besprachen. Sind die nun aufgetauchten Mitschnitte der beiden Treffen vollständig und echt, stimmt weder das eine noch das andere. Der Privatdetektiv Kapelke, der seinerzeit bei Fischers Geldinstitut in der Kreide stand, hätte gelogen.

Der aus Westberlin stammende Regensburger war in seiner bewegten Vergangenheit zeitweise sowohl für die Stasi als auch für westliche Dienste tätig und sollte 1995 für Fischer nach vermuteten dunklen Punkten in der Vergangenheit des Landrates schürfen. Allerdings blieben die erhofften Ergebnisse aus. Zu allem Überfluss drohte der Sparkassenchef mit Konsequenzen wegen eines von Kapelke versprochenen, aber offenbar nicht realisierbaren Autogeschäfts. Am 24. Oktober, so die offizielle Version, wandte sich Kapelke schließlich an den Regensburger Polizeibeamten Wolfgang Ederer, um ihm zunächst in dunklen Andeutungen von dem Entführungsplan zu berichten. Namen gab er erst einen Tag später preis.

Am 26. Oktober erfuhr demnach das LKA in Dresden von der Sache. Dessen Ermittler machten Fischer daraufhin mit Hilfe des zwielichtigen Detektivs „verhaftungsreif“. Um Landrat Schramm - 1993/94 übrigens auch Vorsitzender des Innenausschusses im Landtag - zu schützen, wendeten sie Anfang November 1995 erstmals den Lauschangriff zur Gefahrenabwehr an. Er war im damals gerade erst verschärften und höchst umstrittenen Polizeigesetz neu eingeführt worden.

Wie später bekannt wurde, kam es bei der Aktion zu mehreren Pannen. Die nun aufgetauchten Mitschnitte sind aber vor allem deshalb brisant, weil es sie gar nicht geben dürfte. Wären sie doch entstanden, als angeblich noch kein Polizeibeamter von dem Komplott wusste beziehungsweise die Ermittlungen eben erst anliefen. Fischers Beteuerung, er sei nur zum Schein auf den von Kapelke stammenden Entführungsplan eingegangen, um eine gegen sich selbst gerichtete Verschwörung aufzudecken, erscheint so in einem ganz neuen Licht.
(Von Sven Frommhold)
http://www.freiepresse.de/TEXTE/NACHRICHTEN/SACHSEN/SACHSEN_THEMEN/TEXTE/494236.html

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