Freie Presse Chemnitz, 07.12.2002
Schommer zeigt Gebrüder Rittinghaus an
Staatsanwälte sollen Fördermittelvergabe bei ZMD prüfen
DRESDEN. Die Fördermittel-Vergabe beim Verkauf der Dresdner Chipfabrik ZMD an die Sachsenring AG wird jetzt zu einem Fall für den Staatsanwalt. Das sächsische Wirtschaftsministerium will die Ermittler um Hilfe bei der Aufklärung dubioser Vorgänge im Vorfeld der Transaktion Ende 1998 bitten. Dabei geht es sowohl um den Verkauf einer wertlosen Sachsenring-Lizenz durch ZMD wie um den Verdacht, dass die 29 Millionen Mark, die der Freistaat an Sachsenring für den ZMD-Erwerb zahlte, der Firma unmittelbar nach Kauf wieder entzogen worden sind.
Den Staatsanwalt eingeschaltet hat am Freitag auch Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer. Er verklagte in Berlin die Brüder Ulf und Ernst-Wilhelm Rittinghaus wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt.
Schommer bestreitet unter Hinweis auf eigene eidesstattliche Versicherungen, weder Rittinghaus um eine Spende für die CDU angesprochen, noch Einfluss auf die Erhöhung einer Förderung für Sachsenring im Zusammenhang mit dem ZMD-Kauf zugunsten der Kampagne "Sachsen für Sachsen" genommen zu haben.
Inzwischen haben die Brüder Rittinghaus ihre Forderungen benannt: Bei "konservativster Berechnung", wie ihr Anwalt mitteilt, beliefe sich der Schaden auf 39 Millionen Euro. Die Ansprüche richten sich gegen den Freistaat, die Dresdner sowie die Commerzbank und deren Beteiligungsgesellschaften.
Schommer ruft den Staatsanwalt - Ehemaliger sächsischer Wirtschaftsminister erstattet Strafanzeige gegen Brüder Rittinghaus Dresden. "Haltlos und widerlegt." Groß und fett gedruckt, bringt die Überschrift die Empörung des Verfassers zum Ausdruck. 14 Tage hat Kajo Schommer benötigt, um seinen Widerstand gegen die Verdächtigungen des "stern", er habe "Vermögen des Freistaats zugunsten seiner Partei verscherbelt", juristisch zu untermauern. Am Freitag trat der Ex-Wirtschaftsminister mit einem dicken Papierbündel an die Öffentlichkeit. Zuvor hatte er bei der Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige gegen die Brüder Ulf und Ernst-Wilhelm Rittinghaus unter anderem wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt erstattet.
Zur Sache bitte: Viele Fragen in der Affäre um Sachsenring und ZMD
Die Katze ist aus dem Sack: 39 Millionen Euro fordern die Brüder Rittinghaus vom Freistaat. So hoch sei der Schaden, behauptet der Anwalt der ehemaligen Sachsenring-Vorstände, den Landesregierung sowie Dresdner- und Commerzbank ihren Mandanten zugefügt hätten. Von Pflichtschuld-Verletzungen und Falschangaben ist ausführlich die Rede, am Rande nur noch von einer Spendenaktion zugunsten der CDU-Regierung mit Hilfe aufgestockter Fördermittel.
Diese Vorwürfe dienten offensichtlich der journalistischen Weg-bereitung des eigentlichen Ziels: Den Beweis dafür anzutreten, dass die Schuld für unternehmerisches Scheitern nicht das damalige Management, sondern kleinkariertes Taktieren von Banken und Politikern tragen. Als Sanierer hofiert, später von den selben Leuten gefeuert und zur Kasse gebeten zu werden: Das hat verständliche Verbitterung bei den Rittinghaus-Brüdern ausgelöst. In ihrem verzweifelten Kampf um den Verbleib in der Gesellschaft, die sie einst gefeiert hatte, sind sie nicht wählerisch vorgegangen. Anschuldigungen lösen juristische Bumerang-Effekte aus. Die Geister, die sie riefen, werden sie nicht mehr los. In den Zeitungsredaktionen häufen sich Unterlagen von Informanten, die darauf drängen, ihre Erfahrungen mit den preisgekrönten Managern der 90er Jahre abgedruckt zu finden.
So facettenreich wie das Firmenreich, mit dem sie sich schmückten, ist auch die Aufarbeitung der Transaktionen in der Ära Rittinghaus. Die Abwicklung der Privatisierung von ZMD durch Sachsenring gleicht inzwischen einem Wirtschaftskrimi. Den Durchblick haben sogar Fachleute verloren, oder sie verschließen bewusst die Augen. Den Mund haben sich in der Regierung mittlerweile auch Profis verboten, die anfangs glaubten, die richtige Sprachregelung gefunden zu haben. Animositäten zwischen den heutigen und damaligen Verantwortlichen des Wirtschaftsministeriums fördern die Verwirrung.
Nun soll der Staatsanwalt klären, was aus eigenen Akten nicht ersichtlich ist?
Kajo Schommer, der angebliche Einfädler eines dubiosen Spendengeschäfts, schoss am Freitag scharf zurück. Aber der Minister a. D. scheint ohnehin längst aus der Schusslinie. Jetzt sind seine Nachfolger gefragt, für Klarheit zu sorgen. Auf dem Spiel stehen insgesamt 600 Arbeitsplätze bei ZMD und über 300 Millionen Mark staatlicher Förderung.
(von Hubert Kemper)