BILD-Zeitung Dresden, 17.01.2003
Gerd, vergiss den Osten nicht!
SPD-Schwergewicht mahnt Kanzler
DRESDEN. Es war vor einem Jahr: Kein Tag ohne
Karl Nolle (57,SPD) – auf allen Kanälen, in jeder Zeitung. Das SPD-Schwergewicht (geschätzt: 130 Kilo) sägte damals am Thron von Kurt Biedenkopf (72, CDU). Erfolgreich! Still wurde es seit dessen Rücktritt auch um Nolle. Politik-Müde?
Der Druckhausbesitzer lacht, dass der Bauch wackelt, dröhnt mit Bass-Stimme: „Natürlich nicht. Ich wurde gerade als SPD-Sprecher eines neuen Untersuchungsausschusses vorgeschlagen.“ Der soll ab Montag aufklären, ob Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer Freistaat-Gelder für Wahlkampfzwecke verbotenerweise an Sachsenring in Zwickau gezahlt hat.
Es geht also wieder los. Skandaljäger Nolle hat Witterung. Stellt sich die Frage: Bleibt da noch Zeit für Druckhaus, Umsatz und 63 Mitarbeiter? Nolle reibt sich das unrasierte Kinn, sagt nachdenklich: „Mein Arbeitstag hat 16 Stunden. Acht für die SPD, acht für den Betrieb. Ich mache nie Urlaub, wir haben den Umsatz letztes Jahr um elf Prozent auf 6,3 Millionen Euro gesteigert.“ So geht das. Eine neue Druckmaschine für drei Millionen Euro hat er auch gekauft. Bei Planeta in Radebeul. Vorbildlich, Herr Abgeordneter! Das bewahrt Jobs.
Erfolg im eigenen Betrieb, dafür Zoff im Laden SPD. Dort neidet mancher Nolle die Popularität. Kein Wunder: Das Schwergewicht mit „Kampfschnauze“ kennen laut Umfrage über 50 Prozent der Sachsen. Parteichefin Constanze Krehl nur lächerliche 30 Prozent. Nolle: „Es wird versucht, mich zurückzupfeifen.“ Erfolglos. Dafür spinnt der einzige Unternehmer im Landtag mit Leipzigs SPD-OB Tiefensee den gleichen Faden. Nolle: „Der Mann kommt noch groß raus.“
Abgekühlt hat sich dagegen das Verhältnis zum Duz-Freund und Ex-Juso-Gefährten: Bundeskanzler Gerhard Schröder. Nolle über seinen einst guten Freund: „Der Aufbau Ost macht keine Fortschritte, ein Konzept ist nicht in Sicht. Gerd, vergiss den Osten nicht!“
Früher gluckten die beiden Niedersachsen bei Rotwein und Cohiba-Zigarre auf Nolles Dachterrasse: „Heute treffen wir uns nur noch auf Parteitagen.“
(Andreas Harlass)
