Deutscher Drucker Nr. 17-18, 02.05.2002
Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung
Verband Druck und Medien Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt
Ostdeutschland muss herausfinden aus der Rolle der verlängerten Werkbank und des Absatzmarktes für den Westen. Wachstumshindernisse sind zu überwinden. Das ist aber nur zu erreichen, wie der Verbandsvorsitzende
Karl Nolle analysierte, wenn die Wertschöpfungsleistung erhöht, die Abwanderung der Elite gestoppt und Ausbildung auf hohem Niveau realisiert wird.
Die Jahreshauptversammlung des Verbands Druck und Medien Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt in Oberhof am 19. und 20. April war mit 58 anwesenden Mitgliedsbetrieben von 161 Mitgliedsfirmen und 20 Gastmitgliedern (Stand 2001) gut besucht. Der Bericht des Vorsitzenden des Verbandes, Karl Nolle, war geprägt von der Analyse der politischen und wirtschaftlichen Situation und der konkreten Entwicklung der Druckindustrie der drei ostdeutschen Bundesländer.
Mittelstandspolitik zum Mittelpunkt der Politik machen
Karl Nolle führte aus: "Es wird viel von Mittelstandspolitik geredet, bei allen Fördermitteln und Subventionen erlangt der Mittelstand aber nur 9 %. Bei der Großindustrie landen 91 %. Und leider ist es auch beim Aufbau Ost wieder ähnlich. Angesichts dieser Schieflage, der Benachteiligung des Mittelstandes, haben Handwerk und Mittelstand manchmal wohl zu Recht den Eindruck, >die Politik kümmert sich um die Großen und um die Kleinen kümmert sich der Konkursverwalter.< Wir wünschen uns noch mehr steuerliche Entlastungen und genauso wichtig ist die Vereinfachung des Steuerrechts."
Es wurde unterstrichen, dass jeder Euro, der nicht im Osten investiert wird, als Alimentation von Arbeitslosengeld, Arbeitslosen- sowie Sozialhilfe vom Westen kommt. Wer im Osten sparen will, muss in Bildung, Arbeit, in Unternehmen und Infrastruktur investieren.
Wachstumshindernisse
Drei Grundprobleme wurden herausgearbeitet, die miteinander zusammenhängen:
> Eine Unternehmenslücke und Arbeitsplatzlücke, weil in Ostdeutschland etwa 2 Millionen Arbeitsplätze und die dazugehörigen 250 000 mittelständischen Unternehmen fehlen.
> Eine Produktionslücke, weil jährlich etwa 110 Mrd. Euro., das heißt, fast 50 % dessen, was im Osten verbraucht und investiert wird, nicht dort selbst erzeugt wird. Diese Angebotslücke wird durch Waren und Dienstleistungen aus Westdeutschland gedeckt. Das schafft nur im Westen die Arbeitsplätze.
> Nur 5 % der Drucksachen die in Deutschland gelesen werden, kommen aus dem Osten. Es müssten viermal so viel sein. Die fehlenden Unternehmen, Arbeitsplätze und die Produktionslücke nicht hergestellter Dienstleistung haben aber auch eine zu niedrige regionale Wirtschaftskraft zur Folge. Besonders schmerzlich ist bei dieser Entwicklung, dass die Eliten abwandern. Deshalb wird für eine eigene, konsequente Ausbildung des Nachwuchses in allen Berufsgruppen der Druckindustrie geworben, weil ansonsten in den nächsten fünf bis zehn Jahren auch im Osten keine Fachkräfte mehr verfügbar sind.
Mitgliedschaft ohne Tarifbindung
Seit dem 1. Dezember 2001 wurde eine Erweiterung der Satzung um Mitgliedschaft ohne Tarifbindung festgeschrieben. Nolle dazu: "Tariferhöhungen sind im Westen immer mit Produktivitätssteigerungen und positiver wirtschaftlicher Entwicklung begründet worden. Aber was, wenn diese Entwicklung nicht eintritt? Dann müssen doch Löhne und Gehälter sich an einer solchen negativen Entwicklung orientieren.
Nolle sagte: "Die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ist bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und ihren Perspektiven eine mehr als notwendige, wohl für viele eine überlebensnotwendige Bedingung. Ich wüsste auch nicht, wo die ostdeutschen Betriebe mehr als bestenfalls den Inflationsausgleich von 1,5 % als Lohnerhöhung verkraften könnten. Zur Forderung von über 6,5 % sage ich, dass wir mit Träumereien nicht die Zukunft meistern können."
Mitgliedergewinnung hat Vorrang
Geschäftsführer Dieter Neumann wies in seinem Bericht darauf hin, dass der geringe Organisationsgrad der ostdeutschen Branche (etwa 20 % gegenüber 40 bis 60 % in Westdeutschland) negative Auswirkungen beim Wettbewerb, der Bewältigung des Strukturwandels, bei der Aus- und Weiterbildung und bei Gehör der Branche bei Gesetzgeber, Landesregierungen, Behörden sowie Institutionen hat. Eine Erhöhung der Mitgliederzahl wird auch als lebensnotwendig für den Fortbestand des Verbandes im Osten gesehen. Die finanzielle Unterstützung und Entlastung des Verbandes durch den Bundesverband Druck und Medien wird in absehbarer Zeit nicht mehr möglich sein. Also ist die wichtige Konsequenz, die Basis mit höheren Mitgliederzahlen zu stärken.
Bei der Bewertung der Tätigkeitsschwerpunkte standen Fragen zu Sozialpolitik/Recht, Betriebswirtschaft, Aus- und Weiterbildung im Mittelpunkt. Die Aufgaben der Rechtsabteilung haben sich geändert. Beispiele sind die stärkere Hinwendung zu Fragen der Arbeitszeitflexibilisierung, der Altersteilzeit aber auch der AGB oder des Urheberrechts.
Positiv bewertet wird die Steigerung der Lehrlingszahlen im Verbandsgebiet um 4 %. Die Bereitschaft zur Weiterbildung der Mitarbeiter hat sich bei den Verbandsunternehmen zum Positiven gewendet. Acht Seminare und Weiterbildungsveranstaltungen zu unterschiedlichen Themen wurden mit guter Beteiligung durchgeführt.
Interessante Vorträge zum Altersvermögensgesetz, zu Praxisfällen der Rechtssprechung, zum Digitaldruck und der Investitionsförderung rundeten den Inhalt der Jahreshauptveranstaltung positiv ab.
(br)