Süddeutsche Zeitung, Wirtschaft, 07.04.2003
Darf Infineon ins Ausland gehen?
Dresdner Politiker erinnert Chip-Konzern an die Hilfen vom Staat
Darf ein Unternehmen, das in Deutschland große Summen aus Steuermitteln eingestrichen hat, Arbeitsplätze ins Ausland verlegen, um zu Hause Steuern zu sparen? In einem offenen Brief an den Vorstand des Chip-Hersteller Infineon, Ulrich Schumacher, hat jetzt ein sächsischer Landtagsabgeordneter diese Frage aufgeworfen. Er besitzt selbst eine Druckerei mit 63 Mitarbeitern in Dresden. Zu dem Brief veranlasst fühlte sich der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD- Landtagsfraktion,
Karl Nolle, durch Aussagen von Infineon-Chef Schumacher.
Der hat in Interviews erklärt, dass Unternehmensteile aus steuerlichen Gründen ins Ausland verlagert werden könnten. Der Chip- Hersteller hat in Sachsen für seine Ansiedlungen in Dresden mehr als 800 Millionen Euro an Subventionen erhalten, sagt Nolle. Prinzipiell begrüßt der Abgeordnete diese Subventionen. Schließlich hätten sie geholfen, über 5000 Arbeitsplätze zu schaffen und eine wichtige psychologische Wirkung als Aufbruchsignal gehabt. Dennoch hätten Schumachers Äußerungen ihn verwundert, schreibt Nolle. Staatliche Unterstützung der Unternehmen müsse sich für die Gesellschaft auszahlen, fordert er.
Infineon hat dem Abgeordneten als Reaktion ein Gespräch angeboten. Man prüfe tatsächlich, ob der Sitz aus steuerlichen Gründen ins Ausland verlegt werde. An eine Verlagerung von Produktionsstätten sei nicht gedacht.
Das Unternehmen verweist auf die Rolle seiner Ansiedlungen als Leuchtturm der sächsischen Wirtschaft.
Der Abgeordnete Nolle aber sieht prinzipiell Anlass für eine Diskussion. „Einer wie Schumacher muss auch Vorbild sein“, sagt er: „Von wem will er denn künftig Subventionen kriegen, wenn er zugleich dem Staat Steuern entziehen will?“ Er verweist auf viele kleine und mittlere Unternehmen, die bei geringem Eigenkapital vergeblich auf öffentliche Hilfe hofften.
Nolles Fragen berühren ein Tabu im Zusammenspiel zwischen Wirtschaftsförderung und Investoren. Im industriell ausgedünnten Ostdeutschland werden Subventionen für Ansiedlungen meist als selbstverständlich angesehen. Unternehmen können oft mit jedem Entgegenkommen rechnen. Nicht immer wird deutlich, welche Verpflichtungen sie daraus ableiten. Kritische Fragen zum Gebaren eines Investors und den Umständen einer Ansiedlung werden meist erst laut, wenn das Unternehmen ohnehin am Ende ist. Dann können sich in manchen Fällen die zuständigen Ministerien kaum noch erklären, warum sie eine Förderung überhaupt bewilligten.
Ansonsten ist das Verhältnis von dienender Dankbarkeit geprägt. Der Abgeordnete Nolle scheint selbst kaum damit zu rechnen, dass er mit seinem Brief in Sachsen eine breite Diskussion auslöst. Die seltenen Investoren werden in der ostdeutschen Politik umsorgt wie scheue Tiere, die man um keinen Preis verschrecken darf. Wer ihr eigenes Verständnis nur ein wenig in Frage stellt, darf keinen Beifall erwarten – auch als Sozialdemokrat nicht mal aus der eigenen Partei.
(von Jens Schneider)