Karl Nolle, MdL

Infineon Dialog, Das Forum für alle Infineon-Beschäftigten am 23.04.2003 veröffentlicht, 01.05.2003

"Wer nimmt, muss auch zurückgeben"

Karl Nolle (MdL / Sachsen) zu Subventionen, Verantwortung, der Umzugsdrohung und Schumacher
 
Dresden/München. Seit August letzten Jahres hält Infineon-Chef Ulrich Schumacher Medien, Mitarbeiter und Politiker gleichermaßen mit Statements über die mögliche Verlagerung von Unternehmensteilen in Atem. Plausibel gehalten durch den teilweisen Umzug der Buchhaltung nach Portugal sowie konkrete Verhandlungen über den Umzug der Zentrale in die Schweiz und stets gekoppelt mit scharfer Kritik an den deutschen Standortbedingungen betreibt er dabei ein wenig durchschaubares Spiel – die tatsächlichen Absichten bleiben weitgehend im dunkeln. Die Zeitungen spekulieren, die Mitarbeiter sind verunsichert, und die meisten Politiker hüllen sich, zumindest in der Öffentlichkeit, in Schweigen; mancher mag hoffen, dass Schumacher sich zum Bleiben überreden lässt, wenn man ihn nur nicht mit Kritik reizt.

Nicht so Karl Nolle, sächsischer Landtagsabgeordneter und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD Fraktion. Anfang April äußerte er sich nach einem Gespräch mit dem Beauftragten des IFX-Vorstands Dr. Peo gegenüber der Süddeutschen Zeitung, und sprach aus, was viele denken: Wer sich gehörig subventionieren lässt, trägt auch Verantwortung denjenigen gegenüber, die das Geld aufbringen. Infineon Dialog hat mit dem kritischen Abgeordneten gesprochen. Er erläuterte seine Ansichten zur Frage von „Subventionen und Standort“.

Nolle ist keineswegs wirtschaftsfeindlich eingestellt. Wie könnte er auch? Der SPD-Abgeordnete, einziger(!) Unternehmer im Sächsischen Landtag, führt mit 30-jähriger Erfahrung ein erfolgreiches mittelständisches Druckereiunternehmen in Dresden mit immerhin 65 Beschäftigten sowie fünf Azubis und ist, man höre und staune, unter anderem Vorsitzender des Verbandes der Druckindustrie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Ihm geht es bei diesem Thema um wirtschaftspolitische Grundsatzfragen, die Moral und Verantwortung von Unternehmen, ganz besonders von Großunternehmen, und um ein „Wehret den Anfängen“.

Eine „offene Erpressung“ nennt Nolle, Mitglied im Verein für klare Aussprache, die in der Tat ziemlich unverhüllten Drohungen eines Umzugs der Konzernzentrale in die Schweiz im Fall des weiteren Abbaus von Steuervergünstigungen durch die Bundesregierung. Angesichts der Tatsache, dass Infineon erheblich von der öffentlichen Hand profitiert, aber selber über jeden Steuer-Euro lamentiert, sei es „ziemlich unmoralisch, Steuergelder als Subventionen einzustreichen, aber gleichzeitig selber keine zahlen zu wollen“. Hinzu komme, dass besonders Unternehmen wie Infineon aus Standortvorteilen Nutzen ziehen, die in unserer Gesellschaft hauptsächlich aus Steuermitteln finanziert werden: Das Bildungssystem sorge für qualifizierte Arbeitskräfte, ein im internationalen Vergleich hervorragendes Gesundheitssystem gewährleiste einen relativ niedrigen Krankenstand, das gut ausgebaute vielfältige Sozialsystem sei letztendlich auch eine Bedingung für den andauernden sozialen Frieden im Land, da es zu vergleichsweise wenigen Streiks, hoher Lebensqualität und relativ niedriger Kriminalität führt – vom lückenlosen Infrastrukturnetz ganz zu schweigen.

Diese vielen Faktoren zusammen wirken sich, direkt oder indirekt, entscheidend auch auf die Lohnstückkosten und die Produktivität aus, bei der Deutschland „weltweit gesehen nicht schlecht“ dastehe. Nolle weist darauf hin, dass darüber hinaus Deutschland „Subventions-Europameister“ ist, kein Land in der EU zahle so viele Subventionen, und das nicht nur absolut, sondern auch pro Kopf.

Nicht zuletzt von dieser Steuerkraft habe auch Infineon profitiert, 800 Millionen Euro brachten das Land Sachsen und der Bund bisher für das Dresdner Infineon-Engagement auf. Hinzuzurechen sind Zugeständnisse der Stadt bei Grundstückspreisen sowie vom Infineon-Projekt induzierte Infrastrukturprojekte. Ebenso wenig enthalten sind Bürgschaften des Freistaates in Höhe von 62 und des Bundes in Höhe von 64 von Millionen Euro. Unter dem Strich, so Nolle, säge Schumacher mit seiner Kritik am Standort Deutschland „an dem Ast, auf dem er selber sitzt. Das sei sehr kurzfristiges, kurzsichtiges und unverantwortliches Denken und verliere vor allem auch das Umfeld vollkommen aus dem Augen“, und weiter: „Wer nimmt, muss auch zurückgeben.“

Ein weiterer Aspekt bei der Frage nach dem Zusammenhang von Fördermitteln, Abwanderung und Verantwortung sind die Arbeitsplatzeffekte solcher Großinvestitionen, die zunehmend Unmut im Mittelstand hervorrufen: „Die selbe Summe Fördermittel kann bei kleinen und mittleren Unternehmen mindestens fünfmal so große Arbeitsplatzeffekte wie bei Großunternehmen generieren, Sogwirkung und Umfeldeffekte mit eingerechnet. Und das, wo Mittelständlern in der Regel diese Fluchtstrategie - nämlich das Land zu verlassen - nicht zur Verfügung steht“. Apropos Mittelstand - auch zur Tatsache, dass Infineon in Dresden immer noch nicht tarifgebunden ist, hält der Landtagsabgeordnete nicht hinter dem Berg: „Bei mittelständischen Betrieben kann ich das ja nachvollziehen, aber nur im Osten, solange die Betriebsergebnisse nicht mehr hergeben. Aber bei Infineon müsste doch wenigstens ein Haustarifvertrag eine Nähe zum Tarif bringen.“

Unter all diesen Aspekten, so urteilt Nolle abschließend ganz offen über Schumachers Drohungen: „Mit diesem Thema kann man illustrieren, wie "geplant strategisch aus dem Bauch" die Konzernspitze eines Großunternehmens arbeitet, denn offensichtlich ist die Firmensitzverlagerung innerhalb von Infineon selber noch umstritten, noch nicht abschließend gerechnet worden, und es ist auch offenbar noch nicht klar, ob wirklich Steuern gespart werden können. Vielleicht ist auch noch nicht klar, ob man nun, aufgeschreckt durch Presseveröffentlichungen, diese Negativbotschaft fürs Unternehmen in der Öffentlichkeit gebrauchen kann. Und alles nur, weil das Ego eines selbstdarstellenden Vorstandsvorsitzenden irgendwie befriedigt werden will. Weil ein Spielertyp das nachmachen möchte, was sein italienischer Wettbewerberkollege, eine Art Angstgegner und Vorbild, schon vollzogen hat, nämlich die Sitzverlegung in die Schweiz.“
(hr)

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Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: