Freie Presse, 08.05.2003
Politiker auf "Lustreise"
Landtagsabgeordnete verreisen in Europa - Nolle: "Hirnrissig"
DRESDEN. Ende Mai, wenn in Finnland die Mittsommernacht-Stimmung besonders intensiv empfunden wird, geht der Petitionsausschuss des Sächsischen Landtages auf Tour. Fünf Tage nehmen sich die Fraktionäre Zeit, um das Ombutswesen im Land der tausend Seen zu studieren. 16 Abgeordnete aus Sachsen erkunden derzeit Helsinki und Umgebung. Sie gehören dem Schulausschuss an und wollen ergründen, warum finnische Kinder bei Pisa so gut abgeschnitten haben.
Von Reiselust beflügeln lassen sich stets zur schönsten Jahreszeit nahezu alle Vollzeit-Politiker in Dresdens Regionalparlament. Den Innenausschuss zog es im April nach Sizilien, der Verfassungs- und Rechtsausschuss will im September England und Schottland heimsuchen, der Landwirtschaftsausschuss Österreich und die Schweiz bereisen.
Für die Aufbruchstimmung gibt es finanzielle Gründe: 1917 Euro, die pro Wahlperiode für Reisezwecke zur Verfügung stehen, wollen vor dem Wahljahr 2004 ausgegeben werden. Um eine freiwillige Selbstbeschränkung auf diesen Betrag kam der Landtag nicht herum, nachdem 1997 der Schulausschuss in Spanien voll in Fettnäpfchen getreten war. Ein attraktives touristisches Rahmenprogramm und die Übernachtung im „Ritz“ waren an die Öffentlichkeit gedrungen. Seitdem schwebt über allen Auslandsaktivitäten der Verdacht von „Lustreisen“.
Es lohne sich, über den eigenen Tellerrand zu schauen, gewinnt Hermann Winkler, Abgeordneter und CDU-Generalsekretär, der Reisetätigkeit Vorteile ab. Seine Fraktion fördert das, indem sie ihren zwölf Arbeitskreisen pro Legislatur für eigene Unternehmungen pauschal 1300 Euro pro Person bereitstellt. Der Landtag zeigt sich großzügig und schießt 450 Euro hinzu. Eintritt für kulturelle Aktivitäten, so betont die Fraktionsführung, müssen selbst bezahlt werden. Immerhin.
Viele Abgeordnete kommen auf diese Weise 2003 in den Genuss, zwei Mal auf Europa-Tour gehen zu können. In Estland erkunden derzeit die CDU-Mitglieder des Arbeitskreises Landwirtschaft die Reize des Landes, im Herbst stehen Österreich und Schweiz auf dem Programm. Bereits im April nahm der Umweltausschuss die Last einer Slowenien-Reise auf sich. Von einem Bauernhof mit Öko-Viehzucht ging es nach Italien, um neben einem kleinen Pflichtprogramm die Schönheiten von Triest und der Umgebung zu entdecken. Steffen Flath, der zuständige Minister, verlieh den Reisegesellschaften durch seine Teilnahme eine offizielle Aufwertung.
Nicht alle Abgeordneten machen mit, wenn sie auf Dienstreise gehen können. Heiko Hilker oder Dietmar Pellmann stellen offen den Lerneffekt infrage. Von „unnützem Parlamentstourismus“ spricht in gewohnter Deutlichkeit
Karl Nolle (SPD). Die Finnland-Tour des Petitionsausschusses nennt er „hirnrissig“. Wenn er Urlaub machen wolle, bezahle er ihn selbst, sagt Nolle, von dem allerdings bekannt ist, dass er nie Urlaub macht.
(Hubert Kemper)