Freie Presse, 05.06.2003
Echo auf Affäre Weber: „Wäre sie nicht so unbeliebt"
Schatten auf Milbradts Führungsstärke
DRESDEN. Auf ein verheerendes Echo in der Presse, in der Opposition, aber auch in seiner eigenen Landespartei stieß die Entscheidung von Ministerpräsident Georg Milbradt, an seiner Sozialministerin Christine Weber festzuhalten. Der CDU-Landesvorsitzende muss sich mit dem Vorwurf des Zauderns und mit Fragen nach den wahren Motiven seines Festhaltens an Weber konfrontieren lassen.
„Weber hätte nicht den Ärger, den sie derzeit hat, wäre sie nicht so rasend unbeliebt", heißt es in der FRANKFURTER RUNDSCHAU. „In der sächsischen CDU, in der Fraktion, im Erzgebirge, ihrer Heimat und besonders in ihrem Ministerium, wo man sie für arbeitsscheu und zickig hält - keiner mag Christine Weber... Die gelernte Zahnarzthelferin gilt in ihrem Ministerium als Totalausfall... Die Zahl ihrer Feinde erhöht sich täglich im Quadrat."
Die konservative FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt: „Das Verhalten der Sozialministerin hat nicht nur in der CDU-Basis in ihrem heimatlichen Wahlkreis für Aufregung gesorgt. Auch in Regierungskreisen bewertet man den Fall als mindestens unsensibel".
„Nun hat ihr der Kollege Innenminister zwar bestätigt, dass sie das Geld zurecht erhalten habe. Die bizarre Affäre hat dennoch ein arges Geschmäckle - und wirft einen Schatten auf die politische Führungsstärke von Ministerpräsident Georg Milbradt", kommentiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. „Er hätte seiner Ministerin besser geraten, sich offen den Fragen der Öffentlichkeit zu stellen - und die angemessenen Konsequenzen zu ziehen."
„Es scheint, als könne sich die wenig kommunikative Ministerin noch nicht einmal auf die Loyalität ihres CDU-Kreisverbandes verlassen", mutmaßt die Berliner TAZ. Formal scheine die Ministerin derzeit nicht angreifbar. „Die Affäre folgt jedoch dem Sprichwort: Man prügelt den Sack und meint den Esel."
Es sei kaum vorstellbar, dass die Ministerin nach dieser Affäre ihr Amt noch bis zur nächsten Wahl mit Autorität ausfüllen kann, spekuliert die SÄCHSISCHE ZEITUNG. Ministerpräsident Milbradt habe ihr einen halbherzigen Freispruch ausgestellt. „Die bloße Bestätigung, bei ihrem privaten Antrag auf staatliche Fluthilfe formal alles korrekt gemacht zu haben, hilft ihr nur für den Augenblick auf die Beine." Milbradt müsste bei einer Entlassung das menschliche Versagen seiner Ministerin eingestehen. „Das würde aber einen Schatten auf die eigene Personalpolitik werfen und zudem andere, ähnlich überlastete Kabinettsmitglieder in den Vordergrund rücken."
Vergleiche zu Kurt Biedenkopf zieht die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG. Der sei nicht zurückgetreten, weil er ein miserabler Politiker war. „Entscheidend waren die Summe der Vorwürfe: Wie hält's der Ministerpräsident mit dem Geld? - Sozialministerin Weber hat ein ähnliches Problem: Sie lässt zuweilen Fünfe grade sein, und auch bei ihr stand privater Nutzen im Vordergrund."
„Was muss man sich in Sachsen als Ministerin noch leisten, bevor man den Laufpass bekommt?" fragt die MORGENPOST in Dresden. Weber habe eine rechtliche Grauzone zum persönlichen Vorteil genutzt. „Hat Weber dieses Problem nicht erkannt, muss sie im Kabinett gepennt haben. Entlassungsgrund: Inkompetenz. Wenn aber doch, müsste sie erst recht fällig sein. Dann hat Weber die angeblichen Unklarheiten bewusst zu ihrem Vorteil genutzt."
Auch die außerparlamentarische Opposition in Sachsen greift die Affäre auf. Dass Webers Förderantrag genau zwei Tage vordem Datum bewilligt wurde, an dem durch eine Verwaltungsvorschrift letzte rechtliche Sicherheit geschaffen wurde, sei der eigentliche Skandal, schreibt Karl-Heinz Gerstenberg, Vorstandssprecher der sächsischen Bündnisgrünen. „Insiderwissen, Skrupellosigkeit und Parteibuch-Beziehungen waren Voraussetzungen dafür. "
Als „unfassbar" bezeichnen Sachsens Liberale das Votum der Staatsregierung. Es sei offensichtlich, dass die CDU einer verdienten Parteifreundin einen Bruderdienst erweisen wolle. FDP-Chef Holger Zastrow erinnerte an einen früheren CDUStaatsminister für besondere Aufgaben Karl Weise. Er sei so lange im Amt behalten worden, bis er sich Pensionsansprüche erworben hatte.
(Hubert Kemper)