Neues Deutschland - ND, 22.07.2003
Sachsen: Keine Gegenliebe für die Liebedienerei der Vorsitzenden
SPD-Landeschefin wirbt für große Koalition mit der CDU und bekommt Ärger
DRESDEN. Sachsens SPD-Landeschefin Constanze Krehl plädiert für eine große Koalition nach der Landtagswahl 2004. Bei einigen Genossen kommt sie damit schlecht an. Sie fühlen sich an das Wahldebakel im Jahr 1999 erinnert.
Exakt 22 Minuten nach der ersten Hochrechnung trat Karl-Heinz Kunckel am 19. September 1999 im sächsischen Landtag vor die Mikrofone. Nachdem die SPD im Freistaat nur um Haaresbreite ein einstelliges Ergebnis verfehlt hatte, warf er den Landesvorsitz hin. Kunckel musste einräumen, dass der Kurs des Andienens bei der in Sachsen allein regierenden CDU gescheitert war. Solcher Kurs hatte in seinen Waldspaziergängen mit dem damaligen Regierungschef Kurt Biedenkopf (CDU) bildhaften Ausdruck gefunden.
Gut ein Jahr vor der Landtagswahl am 19. September 2004 tritt Amtsnachfolgerin Constanze Krehl, die Kunckel an jenem Wahlabend installiert hatte, nun in dessen Fußstapfen. Die Chefin der sächsischen Sozialdemokraten sprach sich für eine große Koalition mit der CDU aus und erteilte einem Bündnis mit der PDS eine Absage. Die Verantwortung im Freistaat müsse »auf möglichst breite Schultern verteilt« werden, sagte Krehl der »Sächsischen Zeitung«. Sie fügte hinzu: »Damit meine ich nicht die PDS.« Krehl hatte auf die Aufforderung von PDS-Fraktionschef Peter Porsch an die SPD reagiert, die Alleinherrschaft der CDU in Sachsen gemeinsam zu beenden. Dazu müsste das Wählerpotenzial links von der Union, das bisher etwa 35 Prozent betrug, ausgeweitet werden. Krehl hält einen Stimmungsumschwung aber für unwahrscheinlich. Einen »radikalen Wechsel würden die Wähler auch nicht unterstützen«. Bei dem Angebot von Porsch für ein rot-rotes Bündnis handle es sich um »alte Hüte«.
In ihrer Partei finden die liebedienerischen Äußerungen in Richtung CDU nicht überall Gegenliebe. Zwar stehen sich bei Sachsens Sozialdemokraten in der Koalitionsfrage starke Fraktionen gegenüber; die Skepsis gegenüber der PDS ist noch immer tiefer verwurzelt als in anderen Landesverbänden. Es sei aber ein grundlegender Fehler, sich zu Koalitionsfragen zu äußern, noch bevor Wahlprogramme möglicher Partner vorlägen, sagte etwa der Landtagsabgeordnete Hanjo Lucassen: »Wir dürfen uns nicht verkaufen.«
Eine vorschnelle Koalitionsaussage hält auch sein Kollege
Karl Nolle für völlig falsch. Die wichtigste Aufgabe bis zum Wahltag 2004 bestehe für die SPD darin, einen Weg »zu mehr Stärke, Sympathie und größerer Wahrnehmung« ihrer Konzepte und Köpfe »konsequent weiterzugehen«. Der Dresdner Unternehmer betonte, »Unterwürfigkeit, Anpassung und Bittstellerei« seien schlechte Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit zwischen Parteien. Unterwürfigkeit gegenüber der CDU dürfte Nolle vor allem deshalb ablehnen, weil er zu den prononciertesten Kritikern von Machtstrukturen dieser Partei gehört. Nolle, neben Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee einer der bekanntesten Sozialdemokraten in Sachsen, vertritt die Partei in den Untersuchungsausschüssen zum Paunsdorf-Center und zur Sachsenring-Affäre.
Der »Chefaufklärer« sieht als zentrale Wahlkampfthemen der SPD neben Bildung und Mittelstandspolitik den Kampf gegen Korruption und »schwarzen Filz«.
Das F-Wort führt auch die PDS im Munde. Porsch, der die Wahl im September 2004 als »letzte Chance« zur Beendigung der dann 14-jährigen CDU-Alleinherrschaft betrachtet, prophezeite Krehl, mit ihrer »Hoffnung auf Teilhabe am schwarzen Filz« werde sie eine Bauchlandung erleben. Es sei ein Fehler, der Öffentlichkeit »ihre Partei als Weichspüler verhärteter CDU-Politik« zu verkaufen. Die Wähler würden dann zwischen »dem Original CDU und der originellen Alternative PDS« entscheiden.
Dass Krehls Anbiederung unentschlossene Wähler zur CDU treiben könnte, befürchtet auch SPD-Mann Lucassen. Der Politik-Quereinsteiger und DGB-Vorsitzende in Sachsen steht der Unionspolitik eher distanziert gegenüber. Dagegen startete er gelegentlich Initiativen zusammen mit PDS-Abgeordneten. Auch jetzt verweist er auf programmatische Nähe bei Themen wie Arbeitsmarkt, Berufsausbildung und Soziales. Mehrfach gab es gemeinsame Gesetzentwürfe und außerparlamentarische Aktivitäten beider Fraktionen.
Voraussetzung für eine noch engere Zusammenarbeit sind neben der Bereitschaft dazu allerdings auch entsprechende Wahlergebnisse. Unter Beobachtern der Dresdner Politikszene macht inzwischen ein boshaftes Szenario für den Wahlabend am 19. September 2004 die Runde. Etwa um 18.22 Uhr könnte SPD-Landeschefin Constanze Krehl vor die Mikrofone treten, die Verantwortung für ein weiteres Wahldebakel ihrer Partei übernehmen und einen Nachfolger vorschlagen. Vielleicht, witzelt man, heißt der dann wieder Karl-Heinz Kunckel.
(von Hendrik Lasch)