Neues Deutschland - Online, 13.06.2003
Countdown bis zur Pensionsgrenze
Ministerin kostet auch ihre Partei Nerven
Was bei der Sachsen-CDU mit einer kleinen Entschädigungsaffäre begann, droht sich zu einer handfesten Parteikrise auszuweiten.
Hermann Winkler spricht große Worte gelassen aus. »Es darf nicht Aufgabe der Politik sein, sich selbst zu versorgen«, sagt der Generalsekretär der sächsischen CDU. Dass dieser kategorische Imperativ der Amts- und Mandatsträger indes tatsächlich moralische Richtschnur für alle Angehörigen der politischen Klasse im Freistaat ist, bezweifeln auch Winklers einfache Parteifreunde. Die acht Unionsmitglieder im Erzgebirgsdorf Deutscheinsiedel jedenfalls empfanden die sächsische Politik und ihre darin dominierende Partei wohl eher als Selbstbedienungsladen und haben dieser Tage geschlossen ihren Austritt erklärt.
Groll sammelte sich zunächst wegen einer Diätenerhöhung. Im März genehmigte die CDU-Fraktion den Landtagsabgeordneten einen Zuschlag von 340 Euro, ein anständiges Plus von 8,6 Prozent. Die Parlamentarier erhalten jetzt monatlich 4283 Euro. Sachsen war das einzige Bundesland, in dem trotz der miserablen wirtschaftlichen Lage die Diäten stiegen. Opposition und viele Bürger hatten die Nase voll, die Union die Mehrheit.
Endgültig reichte es den Deutscheinsiedler CDUlern jedoch, als sie vom Eifer ihrer örtlichen Abgeordneten Christine Weber hörten. Die Sozialministerin soll im August 2002 ihr Insiderwissen und den kurzen Dienstweg genutzt haben, um sich Flutentschädigung für einen Schaden an ihrem Haus zu sichern, der durch Regenwasser entstand. Viele andere Betroffene gingen leer aus. Als ihre Anträge die Amtswege durchlaufen hatten, waren Regenschäden bereits von Entschädigung ausgenommen.
Ob Weber formal korrekt handelte, wie das Innenministerium meint, oder sich ungerechtfertigte Vorteile verschaffte, müssen jetzt Staatsanwälte klären. Der sächsische »Chefaufklärer« und SPD-Abgeordnete
Karl Nolle teilte gestern mit, er habe Strafanzeige erstattet. Weber stehe im Verdacht, falsche Angaben gemacht zu haben, so Nolle, der auch gleich den Zschopauer Oberbürgermeister Klaus Baumann (CDU) angezeigt hat – weil dieser den Vorgang nicht geprüft habe. Bei Weber sieht Nolle den Anfangsverdacht des Betruges und verweist darauf, dass derlei Straftaten mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren geahndet werden können. Bis zu zehn Jahre seien in besonders schweren Fällen möglich, teilt Nolle weiter mit und fügt hinzu, ein solcher besonders schwerer Fall liege vor, »wenn der Täter seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht«.
Die Ministerin wird derweil mit immer neuen Vorwürfen konfrontiert. So sollen sie und eine befreundete Bundestagsabgeordnete jeweils Verwandte der anderen in ihren Büros beschäftigt haben. Eigene Angehörige einzustellen, ist Abgeordneten untersagt.
Dass Weber, die selbst im eigenen Haus als unbeliebt gilt, der Regierung weiter Negativschlagzeilen verschafft statt entlassen zu werden, erklären Beobachter nicht nur mit politischer Loyalität von Ministerpräsident Georg Milbradt. Verwiesen wird auch auf eine ministerielle »Pensionsmathematik«. Danach muss Weber drei Jahre und 273 Tage im Amt gewesen sein, um Anspruch auf lebenslange Altersbezüge von rund 4000 Euro zu erwerben. Scheidet sie vorher aus, erhält sie nur ein Übergangsgeld. Die Frist läuft am 27. Juli ab – also in genau 45 Tagen.
Der »Minister-Countdown« nahm eine unerwartete Wendung, als sich Weber jetzt krank meldete. Die 54-Jährige habe einen Nervenzusammenbruch erlitten, hieß es. Zeitungen berichten, es sei unklar, »ob und wann sie ihr Amt wieder antreten kann«. Während einige Kommentatoren daraufhin vorsichtig von der »Kampagne« gegen Weber abrückten, halten es andere für denkbar, dass damit die Hintertür für ihren stillen Rückzug gefunden wurde. Die Chemnitzer »Freie Presse« hat zudem herausgefunden, dass Minister unter Umständen bei krankheitsbedingtem Ausscheiden sofort Anspruch auf ihre Pension haben.
Die Basis in Deutscheinsiedel will mit solch taktischen Winkelzügen nichts mehr zu tun haben. »Auf diese Partei«, gab das Fähnlein der acht Aufrechten die Richtung vor, »kann man verzichten«.
(Hendrik Lasch)