Agenturen ddp-lsc, 14:23 Uhr, 12.09.2003
Jäger im Visier und Rudi im Halfter
CDU nimmt in einer einmaligen Landtagsdebatte den Oppositionspolitiker Nolle aufs Korn
Dresden (ddp-lsc). Den Jäger muss es furchtbar gejuckt haben. Aber
Karl Nolle blieb die ganze Zeit auf seinem Sitz und lachte nur. Ans Pult trat der 58-Jährige am Freitag während der Landtagsdebatte in Dresden, in der es allein um ihn gehen sollte und die damit mindestens in Sachsen, wenn nicht sogar in der Geschichte der Bundesrepublik ihresgleichen sucht, dann doch nicht.
Die SPD-Fraktion hatte sich entschieden, während der von der CDU beantragten Debatte zum Thema «Negative Auswirkungen der Kampagnen eines SPD-Landtagsabgeordneten auf Firmenansiedlungen im Kreis Stollberg» lediglich eine Erklärung zu verlesen. Dem darin geäußerten Vorwurf an die CDU, «einen direkten Angriff auf die in der parlamentarischen Demokratie verbrieften Rechte der frei gewählten Abgeordneten» unternommen zu haben, schloss sich auch die PDS an.
Auf der Regierungsbank schauten sich Justizminister Thomas de Maizière und Ministerpräsident Georg Milbradt (beide CDU) belustigt an, allerdings griff auch kein Kabinettsmitglied in die Debatte ein. Soviel Tribut wollte man Nolle denn doch nicht zollen, der sich und seinem öffentlichkeitswirksamen Engagement die unfreiwilligen und Affären geschwängerten Abgänge von Milbradts Vorgänger Kurt Biedenkopf und Sozialministerin Christine Weber (beide CDU) gutschreibt.
Dafür zog CDU-Fraktionschef Fritz Hähle vom Leder. Leicht untertrieben gab er zunächst zu, es sei «nicht alltäglich», dass ein einzelner Abgeordneter zum Gegenstand einer Debatte gemacht werde. Es ließe sich einwenden, «zu viel der Ehr'», jedoch hat Nolle offenbar den Rudi im Fritz geweckt: «Wir sind auch nur Menschen wie Rudi Völler», hob Hähle an, «irgendwann platzt der Kragen und dann bricht heraus, was einem auf der Seele brennt». Allerdings sei das als Landtagsabgeordneter etwas schwieriger, «da man seinen Gefühlsausbruch laut Geschäftsordnung Tage vorher beantragen muss».
Hähle betonte, dass es ihm nicht um die Vorwürfe Nolles gegen die CDU-Parlamentarier gehe - «Genosse Hemmungslos» solle ruhig auch weiter alle CDU-Abgeordnete in einen Sack stecken und draufhauen. Wenn es aber um die Lebenschancen von Menschen in einer benachteiligten Region gehe, sei «Schluss mit lustig».
Grund für Hähles Unmut und den CDU-Antrag sollen Äußerungen Nolles gewesen sein, die Investoren abgeschreckt hätten. Nolle hatte behauptet, die Stadt Stollberg habe an ein Unternehmen Land verkauft, das ihr gar nicht gehöre. Dieser Vorwurf ist laut CDU, die sich dabei nach eigenen Angaben auf die gängige Rechtssprechung beruft, unzutreffend.
Nach der Debatte ließ Nolle dann wissen, dass seine Kritik zu keinem einzigen Arbeitsplatzverlust geführt habe. Nur der Ruf von Stollberg sei lädiert, aber das zurecht: Die Stadt nehme Prozessrisiken aus Rückgabeansprüchen in Kauf. Was die Stollberger CDU-Abgeordnete Uta Windisch im Parlament zu rechtlichen Fragen erzählt habe, sei «nur die halbe Wahrheit», im übrigen handele es sich bei ihr um die «Christine Weber von Stollberg».
Nolle gehört dem Parlament seit Oktober 1999 an - zu seinen so zahllosen wie lautstarken Attacken gegen die CDU sagt er: «Ich mach meinen Job.» Inzwischen darf er als zweitbekanntester Sozialdemokrat im Lande gelten - abgehängt nur vom Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee.
«Bekannt heißt nicht beliebt», weiß Nolle selbst, der als Abgeordneter auch noch nach der Wahl in einem Jahr aufräumen will. Selbst wenn die «Süddeutsche Zeitung» mächtige Gegner in der Partei ausgemacht hat, die gerade versuchen, Nolle bei der Aufstellung der Wahlliste wegzuschieben, zeigt sich der einzige aktive Unternehmer des Parlaments - Nolle besitzt eine Druckerei mit 70 Mitarbeitern - optimistisch: «So groß wie jetzt war der Rückhalt in der Partei noch nie.»
(von Tino Moritz)