Freie Presse Chemnitz, Seite 4, 20.09.2003
Der Herr Tillich weiß von nichts
Staatskanzleichef weicht Fragen zur politischen Vergangenheit der Ex-Sozialministerin Weber aus
DRESDEN. Wenn ein Kind trotzig ist, stampft es mit dem Fuß auf und wiederholt monoton: „Will nicht. Will nicht. Will nicht." In der sächsischen Staatsregierung sind die Sitten kultivierter. Dort lautet die Antwort auf unliebsame Fragen sinngemäß: »Weiß nicht. Weiß nicht. Weiß nicht." So geschehen, als der SPD-Landtagsabgeordnete
Karl Nolle etwas über die Vergangenheit der Ex-Sozialministerin Christine Weber in Erfahrung bringen wollte. Leute, die einst in der SED aktiv waren, hatten ihm einige Informationen zugespielt, von denen der Politiker gerne gewusst hätte, ob sie stimmen. Also stellte er im Parlament eine Anfrage, die, so will es das Gesetz, nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet werden muss. Eine Frage, gekennzeichnet mit der Ziffer 2, lautete sinngemäß: War Frau Weber Mitglied des „Stabes ZV", einer militärisch geführten Organisation, die zivilen und militärischen Katastrophenschutz wahrzunehmen hatte? Die Antwort kam von Staatsminister Stanislaw Tillich (CDU): „Aus den der Personal verwaltenden Stelle vorliegenden Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass Frau Weber Mitglied des Stabes ZV beim Rat des Kreises Zschopau war."
Eine semantische Untersuchung dieses Un-Satzes aus der Gruselkammer der Bürokratie würde sehr schnell zu dem Ergebnis führen, dass der Befragte offenbar keine große Lust verspürte, die Antwort zu erforschen. Denn sie signalisiert: Wir haben in den Unterlagen einer Stelle nachgeschaut, die das Personal verwaltet, und da haben wir keine Antwort gefunden. Und an anderer Stelle in anderen Unterlagen nachzuschauen, halten wir nicht für nötig. Nächste Frage bitte.
Und Nolle fragte: Gehörte es zum Aufgabenbereich dieses Stabes, „Ruhigstellungsräume für auffällig gewordene Personengruppen in Krisenlagen" zu schaffen? Antwort Tillich: „Auf die Antwort zu Ziffer 2) wird verwiesen." Informationswert für die Bewohner des Freistaats und deren Abgeordnete im Parlament: Null.
Doch Nolle hatte noch eine Reihe weiterer Fragen, etwa diese, gekennzeichnet mit Nummer 2): "Ist Frau Weber Absolventin eines externen Studiums der Betriebsakademie des Gesundheits- und Sozialwesens des Bezirkes Karl-Marxstadt/Lichtenwalde, und hat sie als solche den Abschluss als "Ökonom des sozialistischen Gesundheitswesens" erworben?" Antwort: „Aus den der Personal verwaltenden Stelle vorliegenden Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass Frau Weber .... Nächste Frage: „Wurde Frau Weber auf der Grundlage des Abschlusses die Berechtigung verliehen, den Titel einer Diplom-Betriebswirtin zu führen, den sie führt?" Antwort Tillich: „Auf die Antwort zu Frage 2) wird verwiesen." Informationswert für die Bewohner des Freistaats und deren Abgeordnete im Parlament: Nullkommanull.
„Das ist haarsträubend!", beschwerte sich gestern Nolle über die Art und Weise, in der seine Fragen nicht beantwortet wurden. „Die Staatsregierung hat eine Nachforschungspflicht" Nun stehen er und die Wähler, die er vertritt, aber zunächst einmal im Regen. Theoretisch bleibt Nolle allerdings noch ein Weg, der behäbigen und offenkundig auskunftsunwilligen Regierung Beine zu machen: Bei falschen oder unzureichenden Antworten ist ein Gang vor den Verfassungsgerichtshof in Leipzig möglich.
(von Thomas Fischer)