Dresdner Morgenpost, 24.09.2003
Nanu! Minister Gillo sieht Sachsens Mittelstand blühen
DRESDEN. Leuchtende Augen bei Sachsens Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU). „Sachsens Mittelstand ist fit für die Zukunft“, erklärte Gillo bei der Vorstellung des Sächsischen Mittelstandsberichts. Wirtschaftsforscher und Unternehmer dagegen greifen sich ob solcher Prognosen an den Kopf.
So gut gelaunt sah man Gillo selten: „Unser Mittelstand ist auf dem besten Weg, die in- und ausländische Konkurrenz einzuholen und sogar Spitzenpositionen einzunehmen.“ Des Ministers Beweis: ein 114-seitiger Bericht über Sachsens Mittelstand vom Institut für Mittelstandsforschung Bonn. „Unabhängig erstellt“, wie dessen Leiter Gunter Kayser sagt. Preis: 160 000 Euro.
Dafür wertet das Institut vor allem Statistiken von Bund und Freistaat aus, geschmückt mit 30 Porträts erfolgreicher Mittelständler. Fazit: „Sachsen ist ein Mittelstandsland“, 99,9 Prozent aller Unternehmen im Freistaat zählen dazu (Bund: 99,7 Prozent), stellen hier 87 Prozent aller Arbeitsplätze (Bund: 79). „Unser Mittelstand hat die höchste Selbstständigenquote, bildet über dem Bundesdurchschnitt aus, hat die geringste Insolvenz- und die höchste Exportquote der neuen Länder“, lobt Gillo.
Eine Sicht, die von Kritikern nicht geteilt wird. „Im Osten fehlen rund 100 000 Unternehmen, ein Aufholprozess ist nicht zu erkennen“, teilt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) mit. „In Sachsen gibt es heute 12,8 Prozent weniger Ausbildungsplätze als 2002 - der größte Rückgang in Deutschland“, sagt Sachsens DGB-Vorsitzender Hanjo Lucassen. Die Insolvenzquote ist hier doppelt so hoch (!) wie im Bundesdurchschnitt, auch der Export hat diesen noch lange nicht erreicht, relativiert selbst Gillos Mittelstandsbericht.
„Herr Gillo hat keinen blassen Schimmer“, urteilt
Karl Nolle (SPD), einziger Unternehmer und Mittelständler im Landtag. „Die Politik muss jetzt bestehende Firmen erhalten, die Förderpolitik umstellen und die Abwanderung stoppen.“ Er fordert von Gillo ein Mittelstandskonzept. Der hat erst mal eine neue Ministeriums-Abteilung für den Mittelstand gegründet.
(Stefan Locke)