Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 06.11.2003

Im Dickicht der Provisionen und Pensionen

Rund um die Leipziger Olympiabewerbung tun sich Abgründe auf - Der Staatsanwalt leitet Prüfung ein - Wolfram Köhler vor sorgenfreier Zukunft
 
Leipzig/Dresden/Riesa. Die einen äußern sich dazu nicht. Andere wissen angeblich von nichts. Und dann gibt es auch noch jene, die alle Kritik von sich weisen. Nachdem die „Berliner Zeitung“ in ihrer gestrigen Ausgabe neue Vorwürfe gegen die Leipziger Olympiabewerbung veröffentlichte, ging das Gros der Verantwortlichen kollektiv auf Tauchstation. Das Blatt hatte berichtet, dass die Stadt Leipzig entgegen einer anderslautenden Mitteilung von Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee vom 15. Oktober 2003 „sehr wohl Geschäftskontakte zum Duo Ivan Radosevic/Renner Ziegfeld“ unterhielt. Beide Männer sind Geschäftsführer der Sport Consulting International GmbH (SCI), Ludwigshafen. Dabei handelt es sich um jene Firma, die Presseberichten zufolge von dem inzwischen entlassenen Geschäftsführer der Leipzig 2012 GmbH, Dirk Thärichen, mit lukrativen Aufträgen versorgt worden sein soll. Thärichen war vor seiner Tätigkeit für die Olympiabewerbung selbst für Radosevic & Co. tätig, etwa bei der Organisation des Leipziger Damen-Tennisturniers.

Ein ominöser Zwischenhandel... .

Die Rede ist in der „Berliner Zeitung“ von einem internen Schriftstück vom Januar 2003, in dem es um Provisionszahlungen an die SCI geht. Darin, so heißt es, wendet sich Thärichen, damals noch Chef der alten Bewerbungsgesellschaft „Leipzig, Freistaat Sachsen und Partnerstädte GmbH" an die Stadt Leipzig, konkret an den Beigeordneten Burkhard Jung. In dem Papier werde auf eine Absprache vom November 2002 Bezug genommen, wonach sich Jung bereit erklärt haben soll, „über die Stadt Leipzig noch für die Bereitstellung finanzieller Mittel zu sorgen“. Genannt wird ein Betrag von einer Million Euro. „Wie vereinbart“, so habe Thärichen geschrieben, „soll die SCI für ihre in diesem Zusammenhang erbrachten Leistungen auf die einzelnen Teilzahlungen jeweils eine Provision in Höhe von 15 Prozent des Zahlungsbetrages beanspruchen können“. Die erbetene Unterschrift unter diese Vereinbarung, „die für die SCI immerhin eine Provision von 150.000 Euro zuzüglich Umsatzsteuer bedeutete“, habe Jung geleistet. Ein Zeitungsbericht, der aus dem Leipziger Rathaus jedoch nicht kommentiert wird. Auch die Summe von einer Million Euro bleibt unerklärt. Stammt das Geld aus städtischen Haushaltsmitteln? Warum soll für Geld, das die Stadt Leipzig erbringt, ein Dritter, nämlich die Firma SCI, Provision kassieren?

„Dazu äußern wir uns nicht“, verweigerte gestern Rathaussprecherin Kerstin Kirmes etwaige Antworten. Sie verwies stattdessen auf die eingeleitete „Tiefenprüfung“ der Geschäftsvorgänge, wobei es auch um die Beziehung der Stadt Leipzig zu Radosevic und Ziegfeld gehe. Die Presseverantwortliche der neuen Bewerbungsgesellschaft Leipzig 2012 GmbH, Steffi Würzig, die bereits in der alten Gesellschaft den Posten bekleidete, wusste nach eigenem Bekunden auch nicht: „was das für eine Million ist“. Ivan Radosevic sagte auf Anfrage der "Freien Presse" nur: „Alles, wofür Rechnungen gestellt wurden, dafür haben wir auch ordentlich gearbeitet.“

Hermann Winkler, Chef des Landessportbundes und Generalsekretär der sächsischen CDU, der seit Ende vorigen Monats sein Aufsichtsratsmandat in der Olympia-Bewerbungsgesellschaft ruhen lässt, wurde von der neuesten Negativschlagzeile überrascht. Bei der Interpretation der recherchierten Million tappt auch er im Dunkeln. "Das ist zu klären", sagte er zur "Freien Presse". Die Klärung wird jedoch noch eine Zeit lang dauern.

... den der Staatsanwalt prüft

Klärungsbedarf sieht auch die Justiz. Leipzigs Oberstaatsanwalt Norbert Röger sagte gestern auf Anfrage, dass ein Prüfverfahren zur Leipziger Olympiabewerbung eingeleitet wurde. Es würden derzeit alle verfügbaren Informationen gesammelt. Mitte dieses Monats erhofft Röger zudem die Zusendung eines Prüfberichtes, den die Dresdner Landesregierung in Auftrag gab. Dann sei geklärt, ob ein Anfangsverdacht, möglicherweise wegen Untreue, besteht. Welche Personen dabei ins Visier der Juristen geraten könnten, sei derzeit noch offen. Seit gestern werden zudem im Regierungspräsidium Leipzig die vorliegenden Tatsachen um die Leipziger Bewerbung geprüft. "Wenn ein Ergebnis vorliegt, kann entschieden werden, ob Vorermittlungen gegen die Leipziger Rathausspitze eingeleitet werden", erklärte Sprecherin Anja Kluthmann.

Ein junger Ruheständler ...

Der Staatsanwalt wird auch gefordert zur Aufklärung von anderen Vorgängen, die im Zuge der sächsischen Olympia-Querelen nun ans Licht gelangten. Es geht um den eben in den einstweiligen Ruhestand versetzten Olympia-Staatssekretär Wolfram Köhler. „Politisch hochgradig korrupt und strafrechtlich mehr als bedenklich", nennt der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle die Beteiligung Köhlers Frau an einem Sponsorvertrag des Gasversorgers VNG. Über das Provisionsgeschäft der Gattin war Köhler nun als Staatssekretär gestolpert. Über ein Geschäft, das seine Zeit als Oberbürgermeister von Riesa betrifft. Auch in der Angelegenheit Franziska Köhler ging es akkurat um einen Abschlag von 15 Prozent. 15 Prozent von 2,5 Millionen Euro die der Erdgas-Lieferant in 10 Jahres-Raten zahlt, fließen auf das Konto von Frau Köhler, obwohl sie nur beim Austausch der Vertragsentwürfe beteiligt gewesen sein soll.

Die lange Zurückhaltung des sonst sehr streitbaren Abgeordneten Nolle in der Sache Köhler war auffällig. Gewöhnlich steht er im Mittelpunkt, wenn in Sachsen Skandale bekannt gemacht werden. Diesmal ließ er sich Zeit. "Ein sensibles Thema", erklärt der SPD-Mann vielsagend. Innerhalb weniger Tage haben sich gleich zwei Gründe, die sein Schweigen erklären, erledigt: Köhler hat sein Amt als Staatssekretär eingebüßt, und Wolfgang Tiefensee seinen Verzicht auf die Spitzenkandidatur erklärt.
Der Olympia-Idee kann Nolle nun nicht mehr schaden, wenn er seine Meinung zu den Nebengeschäften des Staatssekretärs im Ruhestand äußert.

„Die Durchführung der Verträge, hätte ebenso gut durch Mitarbeiter der jeweiligen Gesellschaften erfolgen können“, moniert Nolle. Die Stadt Riesa und ihre kommunalen Gesellschaft für Wirtschaft, Kultur und Sport (FVG) sei um die 375.000 Euro geschädigt worden, die Köhler von der VNG-Vertragszahlung zugunsten seiner Ehefrau abgezweigt habe. „Das begründet den Anfangsverdacht der Untreue nach Paragraf 266 Strafgesetzbuch“, meint Nolle. Die Staatsanwaltschaft müsse die Geschäftsunterlagen der betroffenen Firmen sicherstellen. Und in der Tat: Die Riesaer FVG beschäftigt nach eigener Darstellung mehr also 60 Mitarbeiter, davon zwei hauptamtliche Geschäftsführerinnen. Doch auch die Ehefrau des damaligen OB wurde offenbar noch dringend gebraucht.

13 kleine Anfragen wegen des Verdachts der unzulässigen Vermischung von Amts- und Privatgeschäften in Riesa hatte Karl Nolle, am 4, September vorbereitet, aber nach Intervention eines hochkarätigen Parteifreundes nicht eingereicht. „Das Wissen um diese Anfragen hat sicher dazu beigetragen, dass der Ministerpräsident im letztes Moment die Notbremse gezogen hat“, behauptet Nolle.

...vom Staat bestens versorgt

Diese Notbremse allerdings hat Wolfram Köhler keinen harten Aufprall zugemutet. Dank seines Status eines Beamten auf Lebenszeit, den er mit seiner Ernennung zum Staatssekretär im Mai erlangt hat, wird er ab sofort monatlich vom Freistaat versorgt, auch wenn der einstweilige Ruhestand des jetzt 35-Jährigen bis zu seinem Pensionsalter von 65 Jahren dauern sollte.

Die nächsten drei Monate erhält Köhler sein Staatssekretärsgehalt von 7544,98 Euro weiter. Dann bezieht er laut Auskunft des Finanzministeriums für weitere sechs Monate ein Ruhegehalt, das 71,75 Prozent dieses Gehalts ausmacht, also 5413 Euro monatlich. Ab August 2004 fließen die Versorgungsleistungen zwar nicht mehr so üppig, doch solide weiter. Weil er nur kurz Staatssekretär war, wird sich seine weitere Pension, so Ministeriums-Sprecher Markus Lesch, auf der Basis seines OB-Gehaltes in Riesa berechnen. Das betrug laut Finanzministerium als Grundgehalt inklusive Familienzuschlag 6178,68 Euro. Davon erhält Köhler, sollte der Freistaat in den nächsten 30 Jahren keine Verwendung für ihn haben und er im einstweiligen Ruhestand verharren, monatlich 35 Prozent, macht 2162,54 Euro. In 30 Jahren summiert sich dieser Betrag, turnusmäßige Erhöhungen nicht eingerechnet, auf 778.513,68 Euro. Und dieser Betrag ist genau der Unterschied, den Köhler sich als Versorgungsanspruch erwirtschaftet hat, weil er nicht OB von Riesa und kommunaler Wahlbeamter geblieben ist, sondern fünfeinhalb Monate lang Staatssekretär war.
(Hubert Kemper, Dagmar Ruscheinsky, Samira Sachse)

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