DNN/LVZ, 06.12.2003
Machtkampf droht Sachsens SPD zu zerreißen
Dresden. In der Sachsen-SPD ist der Machtkampf um die künftige Führung der Partei vollends entbrannt. Im Januar wollen die Sozialdemokraten auf insgesamt zehn Regionalkonferenzen samt anschließender Urwahl die Basis über den Spitzenkandidaten fürs Wahljahr 2004 entscheiden lassen, und nach dem Rückzieher von Leipzigs OBM Wolfgang Tiefensee (SPD) sind zwei Kandidaten im Rennen: Landeschefin Constanze Krehl sowie Fraktionschef Thomas Jurk. So will es der Landesvorstand, die Basis aber muckt vernehmbar. Ortsverbände befürchten das Schlimmste, wollen gar die Urwahl selbst verhindern. Begründung: Das nahende Tauziehen drohe die 10,7-Prozent-Partei zu zerreißen.
Stellvertretend für die Gemengelage ist die Stimmung im SPD-Ortsverein Hohenstein-Ernstthal. Die geplante Mitgliederbefragung sei eine "reine Nabelschau", meint Vize Daniel Richter, "wir schmoren im eigenen Saft". Zusammen mit Ortsvereinschef Reiner Franke hat Richter einen bitterbösen Brief an Krehl und Jurk geschrieben. Tenor: Der Machtkampf sei "unehrlich", lasse "politisches Verantwortungsbewusstsein vermissen". Statt "fairem Teamspiel" riskierten beide, "dass sich die sächsische SPD lächerlich macht" - und ihre Chancen bei der Landtagswahl endgültig verspielt.
Dabei attackieren Franke und Richter offen die Parteispitze. Der Landesvorstand habe "in einer politisch entscheidenden Situation versagt", habe gewackelt, wo er hätte "Führung zeigen" müssen. "Wir als SPD-Ortsverband werden uns guten Gewissens bei der Urwahl für keinen von Euch entscheiden können." Ähnlich skeptisch sind Sozialdemokraten aus Leipzig. "Eine große Mehrheit in der SPD hat kein Interesse an einer Urwahl", sagt die graue Eminenz der Sachsen-SPD, Leipzigs Unterbezirkschef Gunter Weißgerber, und fordert: "Jurk und Krehl sollen sich einigen." Ex-Ortsvereinschef von Leipzig Südwest, Pawel Pawlitzky, sieht gar eine "innerparteiliche Führungskrise" heraufziehen.
Vor allem für Krehl wird die Lage damit prekär. Selbst verbriefte Anhänger der Landeschefin raten ihr mittlerweile zum Rückzug noch vor Weihnachten, wollen sie am liebsten vor sich selber schützen - und sich gleich mit. Grund: Krehls Chancen bei der Urwahl seien gering, ihr drohe die Komplett-Demontage - der Verlust aller Ämter auf Landesebene. Entsprechend fürchten die eher konservativen Sozialdemokraten hinter Krehl um ihren Einfluss, weil der nach links hin offene Jurk nicht nur mehr Macht bekäme, sondern auch die Chance, seine Leute auf der Landesliste für 2004 zu platzieren.
Krehl-Anhänger spekulieren deshalb darauf, dass ein "freiwilliger" Verzicht im Vorfeld genau das verhindern könnte - frei nach dem Muster: Die Parteichefin überlässt Jurk die Spitzenkandidatur, behält aber dafür den Landesvorsitz samt Einflussmöglichkeiten. Krehl selber aber will von solcher Taktik nichts wissen. Sie denke "nicht im Entferntesten" an einen Rückzug, sagt sie unverhohlen, sie wolle lieber kämpfen. "Die Zeit des Schmusekurses ist vorbei, wir befinden uns im innerparteilichen Wahlkampf."
Damit stehen die Sozialdemokraten vor einer Zerreißprobe. Belastet wie die Stimmung ist, rückt die von der Basis geforderte "einvernehmliche Lösung" in weite Ferne, und auch für Krehl wie Jurk geht es um alles oder nichts. Denn klar ist: In Zukunft sollen Partei- und Landesvorsitz wieder in einer Hand liegen, entsprechend bitter wären die Folgen bei einer Niederlage. Jurk würde die Fraktionsführung einbüßen, Krehl den Landesvorsitz. Ihr aber bliebe immerhin der Sitz im EU-Parlament sowie die mögliche Wahl ins SPD-Präsidium in Berlin. Dort nämlich wird sie derzeit heftig gehandelt.
(von Jürgen Kochinke)