Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 08.01.2004

Sachsen-SPD dreht sich hilflos im Kreis

Absage der Urwahl Krehl–Jurk erwartet / „Genosse MDR“ stolpert über Mail-Affäre
 
Es gibt einen Moment, da scheint die eigene Hilflosigkeit nicht mehr größer werden zu können. Wenn die sächsische SPD in den vergangenen Wochen diesen Punkt erreicht hatte, kam es einen Tag später aber stets nur viel schlimmer.

Die Suche nach einem eigenen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 19. September ist den knapp 5 000 SPD-Mitgliedern zwischen Görlitz und Plauen acht Monate vor dem Urnengang endgültig aus den Händen geglitten. Stand noch zu Beginn der Woche fest, dass sich der Landesverband nach dem Schock über die Absage des Leipziger Oberbürgermeisters Wolfgang Tiefensee eine quälende Urwahl zwischen der Landesvorsitzenden Constanze Krehl und dem Chef der Landtagsfraktion, Thomas Jurk, zumuten will, steht seit Mittwoch auch dahinter wieder ein großes Fragezeichen.

Bundeskanzler Schröder vor Ort: Greift er ein?

Wie weiter? Diese Frage können selbst Spitzengenossen zurzeit nicht beantworten, nachdem sie den Medien entnommen haben, dass die Urwahl auf der Kippe steht, weil die beiden – auch persönlich längst herzlich zerstrittenen – Kontrahenten nun plötzlich doch eine einvernehmliche Lösung anstreben. Die dabei diskutierte Tandem-Variante, die möglichst sowohl Krehl als auch Jurk nicht als politische Verlierer dastehen lassen soll, sorgt jedoch vorerst nur für große Skepsis.

„Die Entscheidung über die Spitzenkandidatur sollte nicht wie auf einem Basar fallen“, maulte gestern der Landtagsabgeordnete Karl Nolle. Der Tenor vieler seiner Genossen, die ebenfalls nicht wissen, warum für heute Abend eine außerordentliche Landesvorstandssitzung der Partei einberufen wurde, ging in die gleiche Richtung. Vielleicht, so wird geflachst, greift ja noch der Kanzler ein. Möglich wäre das. Gerhard Schröder ist heute wegen Olympia vor Ort in Sachsen.

Einer, der wissen müsste, was tatsächlich gespielt werden soll, wehrt dagegen Nachfragen höflich ab. „Kein Kommentar!“, lautet die Standard-Antwort von Karl-Heinz Kunckel, ebenfalls SPD-Abgeordneter und 1999 als Spitzenkandidat mit 10,7 Prozent bei der Landtagswahl gescheitert. Kunckel war es, der Krehl und Jurk zuvor zum Sechs-Augen-Gespräch gebeten hatte, dessen unbekanntes Ergebnis für die aktuelle Krisensitzung und für Spekulationen sorgen.

Ganz ausschließen will man in der SPD eine überraschende Absage der Urwahl zu Gunsten einer Entscheidung am grünen Tisch jedenfalls nicht. „Die Mitglieder dürften in dem Fall sogar aufatmen“, vermutet Martin Dulig. Der Landeschef vom Partei-Nachwuchs Juso findet den Hickhack inzwischen aber nur noch peinlich.

Für den Fall der Fälle rechnet aber auch Dulig damit, dass auf einem Tandem Jurk ganz vorn sitzt. Der Fraktionschef selbst untermauerte das: „Ich habe nicht vor, auf die Spitzenkandidatur zu verzichten“, kommentiert Jurk die Debatte um eine Doppel-Kandidatur. Und weil das Wahlgesetz den Platz eins auf einer Partei-Landesliste zwingend vorschreibt, heißt das aus seiner Sicht, Krehl wäre auch im Doppelpack praktisch nur Nummer zwei.

Drohender Machtverlust sorgt für Unruhe

Dann droht aber nicht nur der Landeschefin ein Prestige- und Machtverlust. Auch die Leipziger SPD, 1 000 Mitglieder stark und gut organisiert, bangt um ihre Vertreterin. Motto: „Erst verlieren wir Krehl, danach verlieren wir Einfluss.“

Verloren hat dagegen schon das Leipziger Parteimitglied Ronald Lässig. Der MDR nahm seinen Moderator, der eine Landtagskarriere für die SPD plant, gestern vorläufig vom Sender, nachdem von Lässigs MDR-Computer eine gefälschte Agentur-Meldung verschickt worden war, die Jurk zu schaden drohte. „Der Fall wird geprüft“, hieß es aus der MDR-Zentrale. Krehl, für die Lässig zuletzt nicht nur Werbevideos drehen ließ, sondern auch die Pressearbeit übernahm, reagierte schneller. Per Fax forderte sie eine unverzügliche Aufklärung und sagte sich ansonsten von Lässig los.
(Von Gunnar Saft)

Karl Nolle im Webseitentest
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