Freie Presse Chemnitz, 08.01.2004
Ex-Vorsitzender will SPD neue Peinlichkeiten ersparen.
Wird Urwahl heute abgeblasen? - Krehl-Helfer von MDR suspendiert.
Dresden. Die von Personalquerelen um die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl zerrissene sächsische SPD könnte im letzten Moment vor einer Eskalation bewahrt werden. Parteivorstand und Landesparteirat wurden kurzfristig für heute Abend nach Dresden einberufen. Nach ,Freien Presse"-Informationen wird die SPD vor der ersten Regionalkonferenz morgen in Zwickau, der weitere sieben Duelle zwischen der Parteivorsitzenden Constanze Krehl und Fraktionschef Thomas Jurk folgen sollten, einen Kursschwenk vornehmen. Danach verzichten die Antipoden auf eine Einzelkandidatur und stellen sich als Team dem Wähler. Den auch für die Wahl zum Fraktionsvorsitzenden vorentscheidenden Listenplatz i soll Jurk erhalten. In der Darstellung vor dem Wähler gilt allerdings eine Gleichrangigkeit der Kandidaten.
Für die Tandem-Lösung hatte sich der langjährige Partei- und Fraktionsvorsitzende Karl-Heinz Kunckel eingesetzt. Nachdem bereits DGB-Chef Hanjo Lucassen frühzeitig vor einer Zerreißprobe gewarnt hatte, gelang offenbar die Vermittlung am 5. Januar. Zwickau soll demnach nicht mehr im Zeichen einer kontroversen Selbstdarstellung, sondern eines gemeinsamen Auftritts stehen. Eine Tandem-Lösung wollte Krehl bisher nur unter der Bedingung ihrer Führungsrolle akzeptieren.
Ohne Absprache mit Jurk hatte Krehl beim Bundesparteitag in Bochum eine Urwahl angekündigt. Von einer skeptischen Bewertung ihrer Chancen an der Basis durch die Unterbezirksgeschäftsführer ließ sich die Europaabgeordnete nicht abhalten. Punkten wollte sie mit einem Video: Alle 4700 Mitglier erhielten vor Weihnachten einen Kurzfilm mit Krehl als Mutter, Natur- und Hundefreundin und Politikerin mit Sachverstand und guten Drähten zur Parteispitze. Als “Video des Jahres" belächelt Cornelius Weiß den Film. Frau Krehl hat sich damit unmöglich gemacht", befindet der Landtagsabgeordnete und Ex-Rektor der Leipziger Universität.
Ins Abseits gesetzt hat sich ein Krehl-Helfer, der für die SPD in den Landtag einziehen will: MDR-Moderator Ronald Lässig gilt als Verfasser . einer gefälschten Agenturmeldung. Der MDR bestätigte, dass von Lässigs PC mehrere Emails in der geänderten Fassung eines Jurk-Interviews verschickt wurden. Darin plädiert Jurk für ein rot-rote Bündnis. Im Originaltext will er lediglich die Option einer Koalition mit der PDS nicht kategorisch ausschließen". Der MDR suspendierte Lässig gestern vorerst, „um Schaden vom Sender abzuwenden".
(von Hubert Kemper)
