Agenturen dpa/sn, 15:17, 24.01.2004
Nach Enteignungs-Urteil fordern Politiker einheitliche Regelung
Dresden (dpa) - Nach dem Straßburg-Urteil zur rechtswidrigen Enteignung von Bodenform-Erben fordern Politiker und Betroffene von der Bundesregierung eine Regelung zur Entschädigung der Opfer. Für Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) wäre es «das allerschlimmste, wenn jedes Bundesland täte, was es für richtig hält». Ost-SPD-Abgeordnete fassen sogar eine Erhöhung der Solidaritätszuschlages angesichts der drohenden Entschädigungen in Milliardenhöhe ins Auge.
Der Straßburger Gerichtshof hatte vergangenen Donnerstag entschieden, dass mit der Enteignung von rund 70 000 Grundstücken aus der DDR-Bodenreform nach der Wiedervereinigung gegen die Menschenrechte verstoßen wurde. Zehntausende Erben von Neubauern-Land verloren nach einem Bundestagsbeschluss 1992 ohne Entschädigung ihre Flächen, wenn sie selbst nicht mehr in der Landwirtschaft tätig waren.
«Der Schaden ist schließlich auf Grundlage eines Bundesgesetzes entstanden», sagte Böhmer in einem dpa-Gespräch. Ein Gesetz müsse regeln, wie der Wert der enteigneten Flächen und somit die Höhe der Entschädigung festgesetzt werden solle. Die neue Regelung sollte schon in diesem Jahr vom Bund beschlossen werden. «Die Sache hängt jetzt in der Luft.» Aus seiner Sicht ist es ausgeschlossen, dass die Länder die Verpflichtungen aus dem Urteil alleine schultern können. Wie die Beteiligung des Bundes an den Entschädigungen aussehen soll, ließ er offen.
Der Jenaer Staatsrechtler Matthias Ruffert sieht allein die Bundesregierung für Entschädigungszahlungen verantwortlich. «Ich sehe keinen Tatbestand, warum die Länder zahlen sollten», sagte er zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. «Der Gesetzgeber muss jetzt tätig werden und ein Rückabwicklungsgesetz schaffen», sagte die Fürther Kläger-Anwältin Beate Grün. Sie hält es für unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs einlegen wird. «Ich glaube nicht, dass sich die Bundesrepublik Deutschland diese neue Blamage antut.»
Dem Vorschlag von Ost-SPD-Abgeordneten nach einer Erhöhung des Solidaritätszuschlages erteilte der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz eine Absage. «Das ist zu diesem Zeitpunkt völlig abwegig», sagte Wiefelspütz im WDR 2. «Wir haben zum 1. Januar die Steuern gesenkt. Da wollen wir die Leute nicht durch eine erneute Steuer-Anhebungsdebatte verunsichern. Das ist vollkommener Unsinn.»
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaas Hübner hatte in der «Bild»- Zeitung (Samstag-Ausgabe) gesagt: «Man wird wohl nicht darum herumkommen, den Solidaritätszuschlag zu erhöhen, falls durch das Urteil Entschädigungen in Milliardenhöhe auf die ostdeutschen Länder zukommen.» «Notfalls muss der Solidarbeitrag erhöht werden», sagte der sächsische SPD-Landtagsabgeordneten
Karl Nolle der Zeitung.
dpa gj yysn ba
241517 Jan 04