DNN/LVZ, 26.01.2004
SPD streitet über Entschädigsurteil
Ostdeutsche Politiker für höheren Solizuschlag / Straßburger Gerichtshof befasst sich erneut mit Enteignungen
B e r 1 i n (dpa/AP). Nach dem Straßburger Urteil zur Enteignung früherer DDR-Bürger haben ostdeutsche SPD-Politiker einen höheren Solidaritätszuschlag ins Gespräch gebracht. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, bezeichnete diese Idee als „abwegig".
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaas Hübner und der sächsische SPD-Landtagsabgeordnete
Karl Nolle hatten gegenüber der „Bild"-Zeitung gesagt, dass notfalls der Solidarbeitrag erhöht werden müsse, wenn durch das Urteil Entschädigungen in Milliardenhöhe auf die ostdeutschen Länder zukommen. Wiefelspütz erklärte dazu im WDR, erst zum 1. Januar seien die Steuern gesenkt worden. „Da wollen wir die Leute nicht durch eine erneute Steueranhebungsdebatte verunsichern. Das ist vollkommener Unsinn." Er schlug eingehende Beratungen aller Beteiligten über eine geeignete Lösung vor.
Während Wiefelspütz keinen Zweifel daran ließ, dass sich die Bundesrepublik an den Richterspruch halten sollte, forderte SPD-Fraktionsvize Hans-Joachim Hacker, ernsthaft einen Einspruch gegen das Urteil zu erwägen. Staats- und Völkerrechtler schätzen die Chance der Bundesregierung, erfolgreich gegen das Urteil vorzugehen, allerdings als äußerst gering ein.
Sachsen-Anhalts Regierungschef Böhmer verlangte unterdessen eine bundesweit einheitliche Regelung zur möglichen Entschädigung der Opfer. „Es wäre das allerschlimmste, wenn jedes Bundesland täte, was es für richtig hält", sagte er. Ein Gesetz müsse regeln, wie der Wert der enteigneten Flächen und somit die Höhe der Entschädigung festgesetzt werden solle.
An diesem Donnerstag wird sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der in der vergangenen Woche die entschädigungslose Enteignung von 70 000 Grundstücken aus der DDR-Bodenreform nach der Wiedervereinigung als einen Verstoß gegen die Menschenrechte bewertet hatte, erneut mit dem Thema befassen.
In einer Anhörung geht es um die Klagen der Alteigentümer und ihrer Erben, die in der Sowjetischen Besatzungszone oder teils zu DDR-Zeiten Grund und Boden verloren. Für die enteigneten Grundstücke bekamen sie nach der Wende nur einen geringen Ausgleich, was die Alteigentümer stets beklagten. In Straßburg geht es nun darum, ob diese Ausgleichszahlungen zu niedrig ausfielen.