BILD Deutschland, 06.02.2004
Revolte gegen Schröder – erste Forderung nach Rücktritt
Berlin – Die Krise in der SPD wird zur ernsten Gefahr für den Kanzler! Wichtige Parteifreunde stellen sich jetzt öffentlich gegen Gerhard Schröder. Es werden Forderungen laut, dass er Minister feuern soll. Und jetzt erreicht die Palastrevolte ihren vorläufigen Höhepunkt: Die erste SPD-Spitzenpolitikerin fordert Schröders Rücktritt als Parteichef!
Aus den Reihen der mächtigen SPD-Landesfürsten werden die Rufe für einen personellen Neuanfang lauter. Am schärfsten formuliert es die hessische Parteichefin Andrea Ypsilanti. Der „Rheinischen Post“ sagte sie, die Lage der SPD sei „sehr schlimm“, die Arbeitsbelastung des Kanzlers enorm. Daher solle Schröder den Parteivorsitz niederlegen, sich nur noch um die Regierungsgeschäfte kümmern.
Und der Kanzler spürt deutlich, dass das Schiff SPD auf gefährlichem Schlingerkurs ist.
Gestern Nachmittag inspizierte Gerhard Schröder mit ernster Miene die Bundeswehr-Eliteeinheit „Kommando-Spezialkräfte“ im baden-württembergischen Calw. „Spezialkräfte“ braucht der Kanzler jetzt auch dringend in Berlin! Panik herrscht in der SPD wie auf einem sinkenden Schiff. Führende Genossen funken S.O.S!
Ausgerechnet der Chef der Niedersachsen-SPD, Schröders Heimatverband, zwang dem Kanzler die heikle Debatte um eine Kabinettsumbildung auf! Jüttner zur „Financial Times Deutschland“: „Ich glaube, es geht nicht mehr ohne Kabinettsumbildung...“
Doch wer könnte die SPD retten?
Die Personaldecke ist dünn. In Berlin werden für eine Erneuerung von Partei und Kabinett vor allem folgende Namen gehandelt: Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier, Innen-Staatssekretärin Ute Vogt, EU-Kommissar Günter Verheugen, der niedersächsische Fraktionschef Sigmar Gabriel, der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin, die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen.
Auch aus anderen Bundesländern wird der Ruf nach einer Kabinettsumbildung immer lauter!
Der Dresdner SPD-Landtagsabgeordnete
Karl Nolle zu BILD: „Auch ich bin für eine Kabinettsumbildung. Aber mit einem Austausch von Köpfen allein ist es nicht getan. Wir brauchen eine andere politische Strategie, müssen die Menschen mehr mitnehmen.“ Und der Fraktionschef der SPD in Baden-Württemberg erklärte: „Wenn man das öffentliche Erscheinungsbild der Bundesregierung sieht, ist in der Mitte der Legislaturperiode eine Kabinettsumbildung der richtige Schritt.“
Auch der angesehene Duisburger Parteienforscher Karl-Rudolf Korte rät dem Kanzler zu einem Befreiungsschlag: „Ein personeller Umbau wäre ganz wichtig, weil politische Inhalte immer auch mit Personen verknüpft werden.“
Wie dringend die SPD Retter braucht, zeigt auch die Wut an der Basis. Landesverbände melden laut „Welt“ massenhaft Austritte – u. a. wegen der Wut über die Praxisgebühr.
Auch der Chef des mitgliederstärksten SPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Harald Schartau, stieß gestern einen Hilferuf aus: „Wir verlieren rasant weiter Mitglieder!“
Für den Kanzler ist das alles kein Thema. Schröder gestern: „Da gibt es den einen oder anderen Ratschlag von selbsternannten Ratgebern. Aber ich beabsichtige nicht, die zu befolgen.“
Sein Fraktionschef im Bundestag, Franz Müntefering, eilte ihm zur Seite. Er sagte dem ZDF: „Die Leute reden immer. Die können alle sagen, was sie wollen. Aber entscheiden muss das und tut das der Bundeskanzler. Dann, wenn er es für nötig hält – und wenn er es für nötig hält.“
(Von EINAR KOCH und KATHARINA UGOWSKI)