Ostsee Zeitung, Wochenendausgabe, 07.02.2004
In den eigenen Reihen wächst der Druck auf den Kanzler
Berlin (ddp/dpa) In der SPD wächst – trotz des gestrigen Führungswechsels – der Druck auf Bundeskanzler Gerhard Schröder. An der Basis wird die Forderung lauter: Das Bundeskabinett muss umgebildet werden. Nach dem niedersächsischen SPD-Landeschef Wolfgang Jüttner fordern nun auch sozialdemokratische Politiker in Thüringen und Sachsen personelle Konsequenzen. Der Thüringer SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider sagte, die Probleme der SPD seien „hausgemacht“. Das schlechte Ansehen der Sozialdemokraten in der Öffentlichkeit habe vor allem die erste Reihe im Kabinett zu verantworten. So denke die Mehrheit in der SPD-Bundestagsfraktion, betonte der Haushaltsexperte. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) treffe mit den Pannen bei der Gesundheitsreform die Hauptschuld. Sie hätte viel eher eingreifen müssen und sich nicht auf die Verbände verlassen dürfen. Schneider kritisierte auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) wegen dessen überraschenden Vorstoß zur Autobahn-Privatisierung. Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) warf er Versäumnisse in der Bildungspolitik vor. Ihre Absicht, zehn Elite-Universitäten etablieren zu wollen, sei „totaler Quatsch“.
Der sächsische SPD-Landtagsabgeordnete
Karl Nolle forderte ebenfalls den Austausch von Ministern. „Auch ich bin für eine Kabinettsumbildung. Aber mit einem Austausch von Köpfen allein ist es nicht getan. Wir brauchen eine andere politische Strategie, müssen die Menschen mehr mitnehmen.“ Hessens SPD-Chefin Ypsilanti hob hervor, die Lage der SPD sei „sehr schlimm“, die Arbeitsbelastung des Kanzlers sei enorm. Er müsse endlich wieder sozialdemokratische Politik machen, betonte sie. Zugleich sprach sie sich für eine Lehrstellenabgabe für Unternehmen aus, die nicht ausbilden. Auch müsse die Erbschaftsteuer erhöht werden.
Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel sieht in dem Rücktritt von Schröder als SPD-Chef einen „Autoritätsverlust auf ganzer Linie“. „Dieser Tag ist der Tag des Scheiterns von Bundeskanzler Gerhard Schröder.“ Zugleich forderte sie Neuwahlen, denn der Rücktritt vom SPD-Parteivorsitz sei „der Anfang vom Ende von Rot-Grün“. Auch nach Ansicht des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle steht die Regierung vor dem Aus. „Die SPD hat dem Kanzler das Vertrauen entzogen“, sagte Westerwelle. Schröder solle „dem Siechtum seiner Regierung ein Ende bereiten. Der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky meinte, der Wechsel sei nicht der erhoffte Befreiungsschlag für Kanzler Schröder. „Das ist nichts weiter als eine Reaktion auf die wachsende Unzufriedenheit in der SPD.“