WELT, 20.02.2004
Wie Gott in Leipzig
Bei der Landesbank Sachsen geht es drunter und drüber.
Der Vorstandschef hat seine Lebensgefährtin auf den Chefsessel einer Konzerntochter gehievt und sich selbst einen luxuriösen Dienstwagen gegönnt. Ein anderer Vorstand ließ Ex-Mitarbeiter von einem dubiosen Detektiv bespitzeln.
Der Vorgang füllt inzwischen einen ganzen Aktenordner. Eine vertrackte Angelegenheit, die Wirtschaftsanwälte beschäftigt. Die sollen die Frage klären, ob der Leasing-Mietkaufvertrag Nr. 3792 vom 18. Juli 2003 ein wegen Irrtum anfechtbares und damit unwirksames Geschäft darstellt. Oder ist er eine rechtsgültige Vereinbarung?
Daneben wirft der Vertrag noch ganz andere Fragen auf. Zum Beispiel die, ob sich mit ihm etwas verbindet, was angelsächsische Medien eine "Fat-Cat-Story" nennen. Etwas, das Bundestagspräsident Wolfgang Thierse jüngst als "obszöne Selbstbedienung geprangert hat. Ausgerechnet in Ostdeutschland und ausgerechnet
bei einem öffentlich-rechtlichen Kreditinstitut spielt sich der Vorgang ab.
Mit dem Vertrag Nr. 3792 beschaffte die in Leipzig beheimatete Landesbank Sachsen Girozentrale (Sachsen LB) ihrem Vorstandschef Michael Weiss im vergangenen Sommer ein neues Dienstfahrzeug. Seitdem fährt Weiss einen Mercedes-Benz, obsidianschwarzmetallic lackiert, mit anthrazitfarbenem Leder ausgeschlagen und von einem 500 PS starken V 12-Biturbo-Aggregat angetrieben.
Die Luxusklasse-Karosse hat allerhand Extras, zum Beispiel eine "Linguatronic", mit der sich Radio, Navigationssystem und Funktelefon per Sprachbefehl steuern lassen. Der Wert der "S 600 Limousine, langer Radstand" beträgt 140 249,80 Euro.
Abgewickelt wurde die Anschaffung über die Landesbank-Tochter MDL Mitteldeutsche Leasing AG. Alleinvorstand dort ist Andrea Braun, die Lebensgefährtin von Landesbankchef Weiss. Weil die Reitsportlerin Braun einen Pferdeanhänger besitzt und Freizeitkapitän Weiss einen Bootsauflieger, wurde der Dienstwagen mit einer Anhängerkupplung ausgestattet. Der Kostenvoranschlag über 2607,34 Euro für die privat veranlasste Nachrüstung ist auf die Bank-Tochter MDL ausgestellt.
Die Luxuslimousine, von der 2003 deutschlandweit 550 Stück abgesetzt wurden, wird unter Umständen bald die Gerichte beschäftigen. Denn die MDL behauptet, dass sie für das Fahrzeug eine Restwertgarantie erhalten habe. Nach 36 Monaten und 120 000 gefahrenen Kilometern könne der Wagen zurückgegeben werden. Vom
Anschaffungspreis von mehr als 140 000 Euro bekomme man dann 68 700 Euro
erstattet. Das aber stimmt nicht, heißt es dort, wo der Wagen besorgt wurde. Die AVG Auto Vertrieb GmbH bestreitet, eine solche Garantie gegeben zu haben. Unter einem Formular in den Urkunden fehle eine Unterschrift. In jedem Fall sei eine solche Erklärung nicht bindend, heißt es bei den Anwälten des Autohauses. Denn der marktübliche Restkaufpreis liege bei rund 30 Prozent des Listenpreises. Und das wären nur 36 241 Euro.
Sollte diese Darstellung zutreffen, hätte Weiss ein dienstrechtliches Problem. Denn dann ergäbe sich für die Bank ein Verlustrisiko von gut 30 000 Euro, woraus sich wiederum eine monatliche Leasingrate von 2363,26 Euro errechnet. Was deutlich mehr ist als das, was dem mit rund 500 000 Euro pro Jahr dotierten Vorstandschef der Sachsen LB für einen Dienstwagen zugestanden wird.
Die pikanten Details dieser Affäre werfen ein Schlaglicht auf die Zustände in der drittkleinsten Landesbank Deutschlands, die je zur Hälfte dem Freistaat Sachsen und den sächsischen Sparkassen gehört. Die Beschäftigten sind frustriert, die Personalfluktuation bei der Sachsen LB ist beunruhigend hoch. Drei Vorstände, ein Generalbevollmächtigter und eine ganze Schar von Bereichsleitern haben die Bank verlassen. "Wenn der Stellenmarkt im Kreditgewerbe nicht so angespannt wäre, würden weitere Leistungsträger gehen", heißt es.
Viele Bankmitarbeiter mokieren sich über den Führungsstil von Michael Weiss. Der regiere die Sachsen LB wie ein barocker Fürst. Der Slogan der Bank - "Sächsisch als Erfolgsprinzip" - müsse umformuliert werden, heißt es in einem dreiseitigen Schreiben von Kritikern aus der Landesbank. "Selbstbedienung in Leipzig" sei sehr viel zutreffender.
Eine Dreier-Clique - der Vorstandschef, dessen Lebensgefährtin sowie das
Vorstandsmitglied Rainer Fuchs - habe ein System von Günstlingswirtschaft etabliert, kultiviere eine schwer erträgliche Hybris und betreibe Personalpolitik nach Gutsherrenart. Als Beleg für letzteren Vorwurf wird insbesondere die Karriere von Andrea Braun angeführt.
Die heute 37-Jährige war vor zehn Jahren als einfache Angestellte zur Bank gekommen. Sie stieg zunächst zur "Bereichsleiterin Vorstandsstab" auf, dann gar zur Personalchefin.
Die merkwürdige Konstellation - ohne Zustimmung der attraktiven wie Macht
bewussten Dame fiel seinerzeit nach Darstellung von Bankmitarbeitern kaum eine
wichtige Entscheidung - beunruhigte schließlich den Verwaltungsrat. Deshalb wurde Weiss im Zusammenhang mit einer Vertragsverlängerung auferlegt, dass seine Gefährtin einen Job außerhalb der Bank sucht. Doch da sich in der freien Wirtschaft keine passende Stelle fand, wurde Braun die mit schätzungsweise 160 000 Euro dotierte Führung der Landesbank-Tochter MDL anvertraut, und zwar wie erwünscht mit einer Vier-Tage-Arbeitswoche. Bald darauf übernahm die Managerin die Alleinvertretungsfunktion bei der Gesellschaft. Deren Aufsichtsratschef ist Sachsen LB-Vorstand Fuchs, ein enger Vertrauter von Braun und einer aus der Dreier-Clique.
Seit Braun das Leasingunternehmen leitet, wirft nicht nur die Gestaltung des
Dienstwagenvertrags Fragen auf. 2003 halbierte sich nach vorläufigen Zahlen das
Neugeschäft der MDL auf 75 Mio. Euro. Der Jahresfehlbetrag stieg um den Faktor fünf auf 10,2 Mio. Euro. Dieses Jahr soll das Neugeschäft völlig eingestellt werden. Angestellte machen der MDL-Lenkerin, die keine spezielle Ausbildung für ihren derzeitigen Posten vorweisen kann, schwer wiegende Vorwürfe. Sie habe etwa bewusst die Gremien getäuscht, welche die MDL kontrollieren, sie habe gegen die Satzung verstoßen, zudem nicht marktkonforme Geschäfte zu Gunsten des Mehrheitsaktionärs Sachsen LB eingefädelt sowie falsche Abhängigkeitsberichte vorgelegt.
Schon Mitte 2003 wurde der Verwaltungsratschef der Landesbank über Missstände in Kenntnis gesetzt: Sachsens Finanzminister Horst Metz (CDU) bekam Post von fünf besorgten Mitarbeitern, die schriftlich vortrugen, was da lief. Doch nicht Vorstandschef Weiss oder seine Partnerin, sondern die unbotmäßigen Briefeschreiber mussten ihren Hut nehmen.
Alarmiert ist unterdessen allerdings auch - und das verleiht den internen Kritikern eine gewisse Glaubwürdigkeit - ein gestandener Manager. Jürgen M. Geissinger, Chef des Herzogenauracher Wälzlagerherstellers Ina-Holding, sitzt für die MDL-Minderheitsaktionärin IIL Industrie-Immobilien Leasing GmbH im Aufsichtsrat der Sachsen LB-Tochter. Er wirft der Managerin Braun in einem dieser Zeitung vorliegenden Schreiben vor, sie habe ihre Kompetenzen "im Alleingang" überschritten. Die MDL befinde sich in einer desolaten Situation, sogar die "Auflösung der Gesellschaft" sei zu befürchten. Geissinger droht, eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen, auf der Braun gegebenenfalls nach Paragraph 84 Absatz 3 des Aktienrechts das Vertrauen entzogen werden müsse. Der Brandbrief trägt das Datum 11. Februar 2004.
Da die MDL keine große Zukunft mehr vor sich hat, wird in der Sachsen LB bereits darüber nachgedacht, bei welcher anderen Konzerngesellschaft Braun demnächst untergebracht werden könnte. So entstehe der Eindruck, "dass die Sachsen LB hier eine Liebschaft finanziert", sagt eine Führungskraft.
Jenseits solcher amouröser Bande wurde Anfang des Jahres die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) auf vermeintliche oder tatsächliche Missstände im Binnenverhältnis zwischen Sachsen LB und MDL hingewiesen. Damit dürfte das Gebaren des kleinen Instituts - Ende 2003 waren in der Kernbank 372 Mitarbeiter beschäftigt - schon bald näher untersucht werden, inklusive einer Reihe wenig bekannter Flops der Sachsen LB.
Wie die von Fuchs geleitete Setis-Bank AG, die bei Gründung als "einzige
Transaktionsbank in Ostdeutschland" gepriesen wurde. Inzwischen ist die Zukunft des Wertpapierhauses, das seine Ziele nie erreichen konnte, mehr als ungewiss. Die Kodi AG, eine Internet-Plattform für Kommunalkredite, ist praktisch eingestellt. Aus der schlecht laufenden Publity AG, die Aktienemissionen auf einer Internet-Plattform anbietet, hat sich die Sachsen LB als Anteilseigner weitgehend zurückgezogen.
All das und auch die Geschichte von der luxuriösen Limousine im darbenden Osten
werden in seiner Befremdlichkeit noch übertroffen von einer anderen Episode. Sie könnte, wäre sie nicht so bitter ernst, die Überschrift "Rainer und die Detektive" tragen. In jedem Fall zeigt der Vorgang, wie die Dreier-Clique Weiss, Braun und Fuchs mit unliebsamen Angestellten verfährt.
Am 14. Oktober 2002 verschaffte Vorstand Rainer Fuchs dem zwielichtigen Detektiv Uwe-Jens Wittig einen merkwürdigen Auftrag. Der Inhaber der Sicherheitsfirma Artemis - so heißt die griechische Jagdgöttin - sollte fünf ehemalige Mitarbeiter ausspähen. Wittig hat früher für das DDR-Ministerium des Inneren gearbeitet - "ich möchte nicht darüber sprechen, was ich dort getan habe". Ihm werden gute Verbindungen zu ehemaligen DDR-Polizeikadern wie auch zu Ex-Stasi-Mitarbeitern nachgesagt, er gilt als Spezialist für illegale Abhöraktionen. Auf die Frage, ob auch von ihm eine Stasi-Akte existiere, sagt Wittig: "Möglicherweise."
Diesem dubiosen Geschäftspartner übermittelte Sachsen LB-Vorstand Fuchs sämtliche Telefon- und Faxnummern "zu dem besprochenen Personenkreis".
"Ausspionieren", so Wittig gegenüber dieser Zeitung, "das ist krass formuliert - es war ein Auftrag". Bespitzeln ließ Fuchs, wie sein überaus reger Schriftkontakt ("selbstverständlich ist es möglich, die Akten bei uns einzusehen") mit Wittig belegt, neben zwei Sacharbeitern und einem Bereichsleiter auch einen ehemaligen Vorstandskollegen. Ihnen unterstellte er, im Zusammenhang mit einem geplatzten Kreditengagement Provisionen kassiert zu haben - ein Vorwurf, der sich offenbar nie erhärten ließ.
"Das ist zutiefst schäbig und ehrenrührig", sagt einer der Betroffenen. Ein anderes Opfer der Ausspähaktion durch den Ex-Arbeitgeber wollte Strafanzeige stellen. Sein Rechtsanwalt riet allerdings dazu, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Es spreche viel dafür, dass es bei dem Auftrag um das rechtswidrige Abhören von Telefonen gehe: "Doch der Nachweis, dass die Tat auch verübt wurde, lässt sich kaum erbringen."
Detektiv Wittig ist da offenherziger: "Ich werde den Teufel tun und mich am Telefon einer Straftat bezichtigen. Daraus können Sie gern ihre eigenen Schlüsse ziehen." Weder Sachsen LB noch MDL waren bis Redaktionsschluss zu einer Stellungnahme bereit.
(von Uwe Müller)