Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 29.02.2004

de Maiziére im Interview: "In Sachsen haben sich Nachlässigkeiten entwickelt"

 
Dresden. Natürlich fühle er sich in Sachsen wohl, lacht Justizminister Thomas de Maiziére (CDU), der nun schon seit fünf Jahren im Freistaat arbeitet. Auch seine Frau und die drei Kinder, 16, 15 und 11 Jahre alt, hätten sich wunderbar eingelebt; der jüngste Sohn singt im Dresdner Kreuzchor, erzählt der 50-jährige gebürtige Bonner bei einem Redaktionsbesuch. Der promovierte Jurist, der zunächst Chef der Staatskanzlei und dann Finanzminister war, nimmt auch als Justizminister (seit Mai 2002) kein Blatt vor den Mund.

Frage: Manager, die sich wie Landesbank-Vorstandschef Michael Weiss, ohne Maß bedienen, erregen den Volkszorn und verletzen die politische Hygiene. Fürchten sie um das Ansehen der Sachsen LB?

Thomas de Maiziére: Es ist ein Vorgang, der auch mit fehlendem Fingerspitzengefühl zu tun hat. Aber noch sehe ich keinen Imageschaden. Allerdings besteht die Gefahr, dass das Ansehen Leipzigs beschädigt wird im Zusammenhang mit der Häufung der Vorwürfe neben der Sachsen LB.

Aber für die Sachsen LB ist doch die Stadt Leipzig nun wirklich nicht zuständig.

Nein, aber was das Image betrifft, so entsteht der Eindruck, dass die Messestadt ihrem Erscheinungsbild zu viel und der harten Sacharbeit zu wenig Aufmerksamkeit widmet. Allein eine Olympiabegeisterung in der Stadt und der Region macht noch keine gute Olympiabewerbung.

Ist das Leipziger Krisenmanagement nicht gut genug?

Leipzig hat bisher den Eindruck erweckt, hier wird nicht gejammert, hier werden die Ärmel hochgekrempelt. Das hängt auch mit der Person des Oberbürgermeisters zusammen. Aber die objektiven Daten, wie Arbeitslosigkeit, sind schlechter als in anderen Städten. Mir scheint zudem, dass die Entscheidungsstrukturen in Leipzig ein bisschen unübersichtlich geworden sind.

Wie meinen Sie das?

Insgesamt: Stadt, Stadtrat, Beteiligungsgesellschaften und Ähnliches. Unübersichtlichkeit kann sich zu einem Problem auswachsen, weil die Verantwortlichkeiten nicht klar sind. Wenn etwa der Bericht eines Rechnungsprüfungsamtes in der Schublade verschwindet, ohne öffentliche Debatte, ohne Konsequenzen, dann ist in der Stadt etwas nicht in Ordnung. Möglicherweise ist durch zu viel Konsens die notwendige Debatte gelähmt, der Blick auf kritische Punkte verstellt.

Wir wollen aber das Thema Sachsen LB nicht aus dem Blick verlieren. Ministerpräsident Milbradt und auch Sie waren als Finanzminister jeweils Verwaltungsratsvorsitzende der Landesbank. Sind Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden?

Die Staatsregierung ist nicht für alles und jedes verantwortlich, auch nicht dafür, welches Auto der Vorstandsvorsitzende einer Bank fährt. Die Sachsen LB gehört zu einem Teil dem Freistaat, zu einem anderen den sächsischen Sparkassen. Der Finanzminister ist per Gesetz Vorsitzender des Verwaltungsrates. Für das, was in der Bank passiert, ist aber zunächst einmal der Vorstand verantwortlich. Ein Oberbürgermeister oder Landrat ist auch nicht verantwortlich dafür, welches Auto der Sparkassenchef fährt.

Als Sie Finanzminister waren, haben Sie darauf gedrungen, dass Andrea Braun die Sachsen LB verlässt, nachdem die Liebesbeziehung zwischen Vorstandschef Weiss und ihr bekannt wurde. Entsprach es Ihrer Vorstellung, dass Frau Braun dann Vorstandschefin eines Tochterunternehmens wurde?

Ich will kein Hehl aus meiner Auffassung machen, dass sich einer von der Arbeitsstelle trennen muss, wenn es eine persönliche Beziehung zwischen dem Chef und einer leitenden Mitarbeiterin gibt. Diese Meinung habe ich Herrn Weiss mitgeteilt. Im Nachhinein war meine Empfehlung damals weitergehend gedacht als der jetzige Zustand.

Sie stellen in eine Truppe zur Korruptionsbekämpfung in Sachsen auf. Haben wir hier schon sizilianische Verhältnisse?

Natürlich nicht. 14 Jahre nach Gründung des Freistaates Sachsen haben sich gewisse Nachlässigkeiten, vielleicht sogar Schludrigkeiten entwickelt. Denen muss entgegengewirkt werden. Es geht um eine zusätzliche neue integrierte Ermittlungseinheit unter dem Dach der Staatsanwaltschaft Dresden, die am 1. März ihre Arbeit beginnt. Ihr werden neun Staatsanwälte, 28 Polizisten und Spezialisten angehören.

Leipzig wurde als einer der Anlässe genannt. Geht es um die Vorgänge in der Olympiabewerbungs GmbH?

Ich vermute, dass das, was bei der Olympiabewerbung zum Vorschein kam, nicht der Kern des Problems ist. Es geht um die Frage, ob es tiefere strukturelle Verwerfungen gibt. Da muss der Freistaat genauer hinsehen.

Knöpft sich die Staatsregierung jetzt gezielt Leipzig vor?

Nein. Die Ermittlungsgruppe ist kein Instrument der Staatsregierung, sondern Teil der Justiz. Und natürlich geht es nicht nur um Leipzig.

Es gibt den Vorschlag, in Leipzig einen Super-Gerichtshof einzurichten, der das schon ansässige Bundesverwaltungsgericht mit dem Bundessozialgericht und dem Bundesfinanzhof vereint. Finden Sie das klasse ?

Nein, ich mahne zu großer Behutsamkeit. Wir haben in Deutschland fünf Fachgerichtsbarkeiten. Die Aufteilung ist historisch gewachsen, aber heute zum großen Teil überholt. Sachsen hat schon 1998 einen Vorstoß unternommen, die Sozial- und die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Landesebene zusammenzuführen. Hierzu wird die Bundesregierung jetzt einen Gesetzentwurf vorlegen. Wer aber gleich die Zusammenlegung der Obersten Gerichte fordert, behindert die Diskussion. Besitzstandswahrer werden den jetzigen Zustand verteidigen. Deshalb muss die neue Struktur von unten wachsen.
(Das Gespräch notierte: Anita Kecke)

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