Sächsische Zeitung, 13.03.2004
Die unbekannten Seiten aus der Akte P.
Sachsens Landespolizeipräsident Eberhard Pilz wird nicht nur mit aktuellen Vorwürfen, sondern auch mit solchen aus alten Zeiten konfrontiert: Viele davon gleichen sich
Die Vergangenheit holt einen immer im ungünstigsten Moment ein. Als sich Sachsens Landespolizeipräsident Eberhard Pilz am Dienstag dieser Woche der Presse stellte, schien die Welt für ihn noch in Ordnung – halbwegs zumindest.
Immerhin muss sich der 59-Jährige ungewöhnlichen Vorwürfen stellen. So soll sich der oberste Polizist im Land des Mobbings von Kollegen, der sexuellen Belästigung, der ungenehmigten Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied, der privaten Umzugshilfe durch Unterstellte und nicht zuletzt der Genehmigung eines Lustflugs von Polizeigewerkschaftern per Hubschrauber schuldig gemacht haben. Ärgerlich sind auch die süffisanten Schlagzeilen der Boulevard-Presse, die besorgt in großen Lettern fragt: „Trinkt Polizei-Chef Pilz zu viel Pils?“
Der Spitzenbeamte im sächsischen Staatsdienst und mit dem bayerischen Dialekt hat für das alles jedoch eine banale Erklärung: eine Kampagne. Der Grund dafür wird per Flüsterpropaganda natürlich gern nachgeliefert. So habe Pilz mit der laufenden Polizeireform, die in Sachsen manchem Polizeichef den bequemen Bürostuhl kosten dürfte, halt in ein Wespennest gestochen. Nur zu verständlich, wenn nun aus dem Hinterhalt anonym zurückgeschossen werde.
Diese Variante klingt zwar ebenfalls recht einfach, allein sie ist nicht völlig abwegig. Zweifel daran kamen aber gerade in den letzten Tagen auf, als sich Pilz-Getreue plötzlich weniger mit Fakten, sondern mit einem verbalen Trommelfeuer zu Wort meldeten. Vor allem Michael Antoni, Staatssekretär im sächsischen Innenministerium, tat sich dabei durch ungewöhnliche Angriffe gegen kritische Journalistenfragen hervor. Ein knallharter Spitzenbeamter, der in dem Ruf steht, auch Kritikern in den eigenen Reihen gern und schnell hart auf die Finger zu klopfen – notfalls sogar mit Razzien wie jüngst in der Landespolizeischule Bautzen, wo Antoni offenbar den Hort der Pilz-Gegner vermutet.
Brisanter Zeitungsbericht „zufällig“ aufgetaucht
Der Staatssekretär dürfte jedoch verblüfft sein, wenn er jetzt erfährt, dass die Akte Pilz viele weitere Seiten hat, die der sächsischen Öffentlichkeit bisher völlig unbekannt waren. So hatte sein Ober-Polizist Pilz schon vor Jahren ähnliche Probleme. Offenbar gezielt wurde den Medien jetzt ein Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ aus München vom 9. März 1993 zugespielt. Und der liest sich fast so, als wäre er dieser Tage in Sachsen erschienen.
Demnach musste sich der damalige Polizeihauptkommissar bereits während seiner Dienstzeit in der Grenzpolizeiinspektion Furth am Wald einer ganzen Reihe von Vorwürfen stellen: Kollegen-Mobbing, Trunkenheit am Steuer, versuchte Strafvereitelung im Amt und Verrat von Privatgeheimnissen. Sogar eine geheimdienstliche Tätigkeit für den einstigen Ostblock-Staat CSSR wurde vermutet. Eine Vorprüfung durch den Generalbundesanwalt wurde aber ergebnislos eingestellt.
Auf 175 Seiten hatten Pilz-Untergebene 1992 Vorwürfe nicht nur gegen ihren Chef, sondern auch gegen eine Reihe von Polizeiführern per Strafanzeige aufgelistet. Auf der Deckseite prangte die Warnung „Verdunklungsgefahr!“, weil die Beschuldigten – neben hochrangigen Grenzpolizisten auch ein ehemaliger Ministerialrat und ein Oberlandesanwalt – Zugang zu den Beweismitteln hatten.
Im Fall von Eberhard Pilz gingen die Attacken jedoch immer glimpflich vorüber. Eine erste Strafanzeige gegen ihn, die einer seiner Mitarbeiter bereits 1989 gestellt hatte, war von der Regensburger Staatsanwaltschaft nach fünf Monaten eingestellt worden. Der Anzeigeerstatter – ein ehemaliger Kriminalbeamter – glaubte zu wissen, warum. Ein Geflecht aus beruflichen Abhängigkeiten, Freundschaftsdiensten und parteipolitischen Verbindungen habe Pilz damals geschützt. Doch der Beweis fehlt bis heute.
Tatsächlich hatte der Grenzbeamte Pilz nicht nur bei Prüfungen immer gute Noten. Als günstig dürfte sich auch die Mitgliedschaft in der CSU erwiesen haben, wo er im „Arbeitskreis Polizei“ laut dem Zeitungsbericht hohe Ämter inne hatte. Und nicht zuletzt konnte sich Pilz über seinen Schwager freuen. Dem millionenschweren Kötztinger Unternehmer Anton Staudinger gehören Bade-Thermen auf der italienischen Insel Ischia, die von Parteigrößen wie dem damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Max Streibl und dem CSU-Fraktionsvorsitzenden Gerold Tandler gern besucht wurden. Tandler soll später sogar persönlich dafür gekämpft haben, dass der einfache Beamte Pilz einen Leitungsposten erhält, für den er nicht qualifiziert war.
Schlimmer Verdacht: Lauschangriff auf Kritiker
Am Ende der Affäre wurden zwei Kritiker mit 35 und 45 Jahren vorzeitig in Pension geschickt. Pilz selber ließ sich als Abteilungsleiter nach Chemnitz abordnen. Ein Posten, für den seine Qualifikation in Bayern nicht gereicht hätte, den er im Rahmen der Ost-Hilfe jedoch übernehmen durfte. Befragt nach den alten Vorgängen, erklärte er auch damals: eine Kampagne.
Inzwischen zu Sachsens Polizeichef aufgestiegen, hat Pilz jetzt einen prominenten Medienanwalt engagiert, denn die Vorwürfe eskalieren. So behaupten Pilz-Kritiker und Journalisten nun, am Telefon abgehört worden zu sein. Im Innenministerium hält man das für völlig abwegig. Pilz selber kann dazu nichts sagen. Er ist nicht im Land, sein Handy aus. Am Montag will er zurück sein. Dann könnte sich bald der Landtag mit dem Fall befassen.
(von Gunnar Saft)