Frankfurter Rundschau, 16.03.2004
Draußen heult der Wind, drinnen die Genossen
Sachsens Sozialdemokraten blicken sorgenvoll auf die Landtagswahl im September
140 sächsische Sozialdemokraten haben die Chancen im Superwahljahr 2004 ausgelotet. Ihr Fazit: Die Aussichten sind düster und die Landtagswahl im September wird wohl zur Mutter aller Qualen für die kleine Partei.
Dresden · 14. März · "Neue Chancen für Sachsen" - unter der Überschrift trafen sich Sozialdemokraten im Dresdner Rathaus zu einer Regionalkonferenz, um sich Mut zu machen für ein dornenreiches Wahljahr. Klaus Uwe Benneter, der künftige SPD-Generalsekretär war gekommen, um ein bisschen Hoffnung zu verstreuen, was ihm aber kaum gelingen sollte. "Wer nur von alten Zeiten träumt, wird keine besseren erleben", sagte er - ein Satz, der auf alles Mögliche zutreffen mag, nur nicht die vergangenen 14 Jahre der sächsischen SPD.
Die kennt keine gute Zeiten. Alle Landtagswahlen gegen CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf gingen verloren, zum Schluss, 1999, mit zehn Prozent, während die Union stets satt über fünfzig Prozent lag. Daran wird sich vermutlich auch im September wenig ändern: Auch unter Biedenkopf-Nachfolger Georg Milbradt liegen die CDU-Werte eher bei sechzig Prozent, die der SPD knapp unter 15.
Etliche Genossen wären froh, wenn es wenigstens 15 Prozent würden. Die SPD-Führung hat in den vergangenen Monaten bei der Wahl eines Spitzenkandidaten wenig ausgelassen, um sich zu blamieren und die rund 4500 Mitglieder kleine Partei vor Rätsel zu stellen. Zunächst sprang nach langem Zaudern der Lieblingskandidat ab: Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee musste sich um Olympia 2012 und den dazugehörigen Schlamassel aus Skandalen und Mauscheleien kümmern. Der einzige SPD-Mann, vor dem die allmächtige CDU Angst hat, ging von der Fahne.
Landeschefin Constanze Krehl wollte einspringen und kündigte an, dann auch gleich den Fraktionsvorsitz im Landtag beanspruchen zu wollen. Was naturgemäß dem Amtsinhaber Thomas Jurk missfiel. Also trat auch er an. Eine Urwahl sollte es Anfang Februar geben, dann wurde sie in letzter Minute abgesagt und Jurk vom Parteivorstand zum Spitzenkandidaten gekürt, weil Frau Krehl, auch wegen eines verunglückten Video-Weihnachtsgrußes an die Partei, in der Gunst der Genossen abbaute. Nun also Jurk und dahinter Krehl als "Team", wie es beide nennen. Oder wie der Dresdner Martin Dulig sarkastisch formuliert: "Unser Spitzenkollektiv".
Jetzt wollen beide, die sich wochenlang befehdeten, an einem Strang ziehen und, wie Krehl es im vom Winde umheulten Dresdner Rathaus sagte, auch am 19. September "einen Sieg feiern". Jetzt wird kräftig auf die CDU-Regierung geschimpft (Milbradt sei ein "Kleinkrämer", sagt Jurk), ansonsten hilft wahrscheinlich nur Beten.
SPD fürchtet niedriges Ergebnis
Kurioserweise gibt es einen Sozialdemokraten in Sachsen, der weitaus bekannter ist als die beiden: Der Dresdner Druckereibesitzer, Landtagsabgeordnete und so genannte Chefaufklärer
Karl Nolle. Nur käme niemand auf die Idee, ihn zum Spitzenkandidaten zu machen. Der Mann ist wegen der Maßlosigkeit seiner Attacken auf die CDU-Regierung selbst in großen Teilen der SPD unten durch.
Neue Chancen für Sachsen? "Ich würde mal sagen", meinte ein ostsächsischer SPD-Mann am Schluss der Dresdner Regionalkonferenz, nach Benneters Auftritt, nach Jurks und Krehls Reden und mit Blick auf die Landtagswahl, "fünf bis neun Prozent".
(von Bernhard Honnigfort)