WELT, 25.03.2004
Schlammschlacht in der sächsischen Polizeiführung
Der Umbau von Präsidien und Direktionen führt zum Verlust lukrativer Leitungsposten - Innenminister Rasch spricht von einer "infamen Rufmordkampagne"
Dresden - Die Anzeige hatte es in sich. Ein Mitarbeiter der Landespolizeischule Sachsens beschuldigte damit vorige Woche zwei seiner Vorgesetzten und einen Abteilungsleiter im Dresdner Innenministerium unter anderem des Betrugs und der Nötigung, des sexuellen Missbrauchs im Schwulenmilieu und der Strafvereitelung im Amt. Dramatischer Höhepunkt einer beispiellosen Schlammschlacht, die gegenwärtig in der Polizeiführung des Freistaates Sachsen tobt.
Es geht um Amtsmissbrauch, Korruption und Veruntreuung, um Macht und Intrigen - als hätten die Beamten, zumal nach dem Anschlag von Madrid, keine wichtigeren Aufgaben. Mit den Vorwürfen befasste sich neben der Landespresse und diversen Anwälten nun auch der Innenausschuss des Dresdner Parlaments in einer Sondersitzung. Spätestens damit wurden die Affären zum Problem für Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). Die SPD kündigte einen Misstrauensantrag gegen den Regierungschef an, die PDS forderte Milbradt zur Abberufung seines Innenministers Horst Rasch auf. Das Ressort und die Polizei seien nicht mehr handlungsfähig, der Premier schaue dabei tatenlos zu und trage ebenso Verantwortung für die Misere, kritisiert die Opposition.
Im Mittelpunkt der skandalumwitterten Affäre stehen Landespolizeipräsident Eberhard Pilz, ein mittlerweile ins Umweltressort abgeschobener Abteilungsleiter und hohe Beamte der Polizeischule. Täglich gibt es neue schmutzige Geschichten in der Presse und juristische Scharmützel - doch fast immer aus anonymen Quellen. Pilz wird dabei die gesamte Palette von Verfehlungen nachgesagt, die leitende Beamte auf sich ziehen können: sexuelle Belästigung, private Nutzung von Dienstwagen und Fahrer, ein ungenehmigtes Aufsichtsratsmandat, Alkoholmissbrauch und sogar das Abhören von Journalistentelefonen.
Der Beschuldigte weist alle Anschuldigungen als ehrverletzend zurück und erklärt die Vorgänge mit dem Umbau des Polizeiapparates. In der Tat sind massive Einsparungen von Polizeipräsidien und Direktionen vorgesehen - mitsamt dem Verlust lukrativer Leitungsposten. Der Polizeipräsident bekommt dabei Schützenhilfe von Minister Rasch. Der Ressortchef bezeichnet Pilz als Opfer einer "inszenierten, infamen Rufmordkampagne". Es gebe weder Zeugen noch Beweise. Die "intriganten Heckenschützen" würden nicht mit einem blauen Auge davonkommen, droht Rasch vollmundig. Der Personalrat des Ressorts fordert allerdings ein Zeugenschutzprogramm.
Ins Visier des Innenministeriums geriet indes die Bautzener Landespolizeischule. Dort tätigen Mitgliedern des privaten Förderkreises für Demokratie und Sicherheit wird vorgeworfen, die Infrastruktur der Polizeischule zu ihrem Vorteil genutzt zu haben. Entsprechende Landtagsanfragen des SPD-Abgeordneten Karl Nolle wurden jedoch nicht richtig beantwortet. Daraufhin ordnete das Ministerium zwei Durchsuchungsaktionen an. In Dresden wird nun heftig spekuliert, ob es einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen gibt.
Um Klarheit in das Gestrüpp von Denunziationen und Gerüchten zu bringen, soll bis Ende März eine Ermittlungsgruppe der Staatsregierung einen Abschlussbericht vorlegen. Ruhe dürfte allerdings erst einkehren, wenn auch Personalentscheidungen getroffen sind. Doch dem als grundanständig geltenden Diplomingenieur Rasch, den Milbradt vor zwei Jahren zum Minister machte, fehlt es an Autorität - er wird dem Desaster seit Wochen nicht Herr. Selbst eingeweihte Parteifreunde erklären, Rasch hätte die Affäre schon im Kein ersticken müssen.
Der Innenminister gilt vielen als Schwachpunkt im sächsischen Kabinett. Schon seit der Augustflut 2002 steht er unter Beschuss, weil Regierungschef Milbradt ihm die Show als "Deichgraf" stahl. Seither hagelt es auf diversen Feldern der Innenpolitik auch von Parteifreunden Kritik. SPD wie PDS fordern dabei ebenso gebetsmühlenartig wie erfolglos Raschs Rücktritt.
Doch das Kalkül der Staatskanzlei, so berichten Insider, sieht anders aus: Der Minister muss bis zur Landtagswahl im September durchhalten. Dass Rasch danach ins Kabinett zurückkehrt, gilt als unwahrscheinlich - auch wenn die Sachsen-Union ihre von Kurt Biedenkopf geerbte absolute Mehrheit nach bisherigen Umfragen am 19. September klar verteidigen wird.
(von Sven Heitkamp)