Freie Presse Chemnitz, Seite 4, 30.03.2004
Zu lange gewartet: Milbradts Loyalität mit Rasch und Co. stößt an ihre Grenzen
Kommentar von Hubert Kemper
Als vor einigen Wochen der Vorsitzende des Innenausschusses des sächsischen Landtages die Empfehlung aussprach, das Innenministerium auszumisten, wurde er von seinen CDU-Parteifreunden zurückgepfiffen. Es ist Wahljahr und Kritik an der eigenen Führung verboten. Dabei hatte der mutige Rolf Seidel Anerkennung verdient. Vor einigen Wochen hätte noch entschiedenes Handeln den Schaden begrenzen können. Heute macht das Chaos im Rasch-Ministerium selbst vor dem Ministerpräsidenten nicht Halt Sachsen ist mit der Affäre um seine Polizeiführung und den sie kontrollierenden Apparat inzwischen bundesweit in die Negativ-Schlagzeilen geraten.
Die Liste der Skandale ist lang. Ein überforderter Minister Rasch glaubte sie bisher in bedrohlichem Realitätsverlust ausblenden, sein Regierungschef sie aussitzen zu können. Lehren aus dem Fall Weber hat Milbradt nur partiell gezogen. Seinen Wunsch-Staatssekretär Köhler ließ er im Olympia-Rummel fallen. Später gratulierte er ihm zum Comeback, als dieser handstreichartig das Direktmandat in Riesa dem soliden Heiner Sandig entriss. Den umstrittenen Landesbänker Weiss will Milbradt nicht fallen lassen, weil das in der Finanzwelt ein schlechtes Zeichen setzen könnte. Intensiv betrieb die CDU die Suspendierung des Leipziger Dezernenten Kaminski. Doch die Brisanz der Affäre Pilz hat sie unterschätzt. Am Freitag wird sie in einer Generalabrechnung der Opposition mit dem Krisenmanagement der Regierung gipfeln.
Sturheit gegenüber öffentlich erhobenen Forderungen zu zeigen mag als politische Stärke interpretierbar sein. Sie schlägt aber in der öffentlichen Wahrnehmung in Schwäche um, wenn der Machtapparat um jeden Preis zusammengehalten werden soll. Milbradt muss sich zunehmend die Frage stellen, für wen er Schrammen hinnehmen soll: Für einen Polizeichef, der mit einer Versicherungsgesellschaft verhandelt ist, der Angst vor objektiven Ermittlungen hat? Für einen Staatssekretär, gegen den der Personalrat rebelliert, der für die Diskriminierung von Mitarbeitern verantwortlich gemacht wird? Für einen Innenminister, der nicht nur ahnungslos ist, was hinter seinem Rücken geschieht, der die Falschmeldungen seines Hauses als Privatsache des Pressesprechers herunterzuspielen versucht?
Die Lust des Ministerpräsidenten, die Pleiten seines wichtigsten Ministeriums glatt zu bügeln, ist begrenzt. Spätestens, seitdem ihn die Illoyalität selbst getroffen hat.