ND - Neues Deutschland, 06.05.2004
Selbstbedienung in ungekanntem Ausmaß
Fördermittelskandal um Ex-Landesunternehmen in Sachsen: PDS verlangt eine Regierungserklärung
Ein Fördermittelskandal sorgt für politischen Wirbel in Sachsen. Weil ein Ministerium und ein ehemals landeseigener Betrieb verwickelt sind, ist die Regierung in Bedrängnis.
Eigentlich war aus dem »Sachsenring«-Untersuchungsausschuss im sächsischen Landtag die Luft heraus. Die Opposition ist zwar überzeugt, dass nach dem Verkauf des zuvor im Landesbesitz befindlichen Zentrums Mikroelektronik Dresden (ZMD) an die Sachsenring AG (SAG) zwei Millionen Euro Fördergelder in eine indirekte CDU-Wahlkampagne gepumpt wurden. Doch die Zeugenvernehmungen drehten sich zunehmend im Kreis; viele Berichterstatter hatten die Termine aus ihren Kalendern gestrichen.
Nun jedoch dürfte am 2. Juni der Saal wieder zum Bersten gefüllt sein. An diesem Tag wird zum zweiten Mal der Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) befragt. Seit vorgestern steht er nicht mehr nur im Mittelpunkt der vermuteten Spendenaffäre, sondern sieht sich auch mit zumindest zahlenmäßig viel gravierenderen Vorwürfen konfrontiert: Eine Auffanggesellschaft für entlassene Mitarbeiter von ZMD und SAG soll 21 Millionen Euro an EU-Fördergeldern zweckentfremdet haben; Schommers Ministerium hat die Bescheide bewilligt, obwohl die fehlenden Voraussetzungen zur Förderung bekannt waren.
Der offenkundige Betrug hat seinen Ursprung im Jahr 1998. Damals wurde ZMD für symbolische zwei Mark an die SAG verkauft. Nicht übernommene Mitarbeiter wurden ab Anfang 1999 bei der »QMF Dresden Qualifizierung für Mikroelektronik und Fahrzeugtechnik GmbH« umgeschult, die inzwischen ebenso wie die SAG Insolvenz angemeldet hat. Finanzielle Unterstützung kam bis 2003 vom Europäischen Sozialfonds und dem Land. Das Geld sei jedoch nicht der »Vermeidung von Arbeitslosigkeit« zugute gekommen, wie in den Förderbedingungen gefordert, sagt Claus Bogner. Der Sprecher der Integrierten Ermittlungseinheit Sachsen, die Korruption im Freistaat bekämpfen soll, deutet an, die Mittel seien anderweitig im Betrieb versickert, jedoch wohl nicht in private Taschen geflossen.
Trotzdem wurden jetzt 30 Räume in Firmen sowie im sächsischen Wirtschaftsministerium durchsucht; zwei der 16 Verdächtigen wurden verhaftet. Gestern sollten sie dem Haftrichter vorgeführt werden, sagte Bogner auf Anfrage. Neben einem Ex-Geschäftsführer handelt es sich um einen früheren Mitarbeiter des Ministeriums. Das Haus hatte zunächst die Innenrevision und dann die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, nachdem die Mitte 2002 ausgewechselte Ministeriumsspitze um Schommer-Nachfolger Martin Gillo entsprechende Hinweise erhalten hatte.
Politisch sind die Vorgänge, die nach längeren internen Untersuchungen jetzt vier Monate vor den Landtagswahlen bekannt wurden, äußerst brisant. Der Verkauf von ZMD an Sachsenring, sicher aber auch Umstände wie die Einrichtung der Auffanggesellschaft, beschäftigten 1998 mehrfach das Kabinett. Neben Schommer war der damalige Finanzminister Georg Milbradt, der heute Ministerpräsident ist, entscheidend mit dem Thema befasst.
Die Opposition drängt entsprechend heftig auf Aufklärung. PDS-Fraktionschef Peter Porsch sieht die von der CDU bislang abgestrittenen Vorwürfe zum ZMD-Verkauf bekräftigt und spricht von »Selbstbedienung in einem bisher nicht vorstellbaren Ausmaß«. Die SPD vermutet, es sei nur die Spitze eines Eisbergs bekannt geworden. Gillo soll nun Auskunft vor dem Wirtschaftsausschuss geben. Der PDS reicht das nicht. Sie verlangt eine Regierungserklärung und eine »Wende« in der Fördermittelpolitik.
(Von Hendrik Lasch)