Sächsische Zeitung, 27.05.2004
Auszeit vom Erfolg
Der Leipziger SPD-Oberbürgermeister Tiefensee hat längst mehr als Olympia verloren
Als das Aus für die Leipziger Olympia-Bewerbung endgültig feststand, schien es, als könnte wenigstens die sächsische SPD von der unerhofften Niederlage etwas profitieren. Immerhin war der Oberbürgermeister der Ex-Bewerberstadt jahrelang der Traumkandidat vieler Sozialdemokraten im Freistaat, die sich mit Wolfgang Tiefensee an der Spitze ein Ende der politischen Niederlagenserie in der Landespolitik erhofften. Doch Tiefensee, immer wieder demütig zu einer Spitzenkandidatur im Landtagswahlkampf gebettelt, gab seinen Genossen regelmäßig einen Korb. Zuletzt musste Olympia als Begründung herhalten.
Mit dem Scheitern des Sport-Projekts und der Tatsache, dass die Sozialdemokraten erst Ende Juni ihren Herausforderer von CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt für die Landtagswahl am 19. September bestimmen, schien die Option Tiefensee nun erneut greifbar.
Doch daraus wird nichts. Diesmal aber aus anderen Gründen. Der ewige Wunschkandidat braucht jetzt überhaupt nicht mehr abzulehnen, er wird erst gar nicht gefragt.
Landauf, landab findet sich partout niemand, der nach ihm ruft. „Die Messe ist gelesen, selbst wenn er der liebe Gott wäre“, meint nicht nur Ex-Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel, der die SPD 1994 und 1999 zweimal in den Wahlkampf führte. Der Grund: Der einst in Personalfragen chronisch zerstrittene Landesverband hat sich nicht nur mit einer Tiefensee-Notlösung arrangiert, sondern findet daran sogar Gefallen. Seit der Einigung zwischen Parteichefin Constanze Krehl und Fraktionschef Thomas Jurk, die nun als Doppelspitze antreten wollen, sei wohltuende Ruhe eingezogen. Sogar frühere Tiefensee-Befürworter wie der Abgeordnete
Karl Nolle warnen: „Alles hat jetzt eine Logik. Eine Kehrtwende würde nur Schaden anrichten.“ Und selbst Kritiker des neuen Führungsduos wie Sachsens DGB-Chef Hanjo Lucassen legen sich fest: „Tiefensee, das ist vorbei.“
Dass dem einstigen Partei-Liebling jetzt die kalte Schulter gezeigt wird, liegt aber nicht nur an dessen Dauer-Absagen. Viele Sozialdemokraten mussten in den vergangenen Monaten auch erschüttert feststellen, dass der Leipziger OB „überhaupt nicht der Krisenmanager ist, für den man ihn immer gehalten hat“. Ob Olympia-Querelen, die Affäre um Stadtkämmerer Kaminski oder der Finanzskandal beim Stadion-Neubau – Tiefensee habe meist in der Defensive agiert.
Den trifft die Kritik nach Olympia doppelt hart. Keine Spiele und nun ist auch die Aura des immer Erfolgreichen weg. „Er ist auf das Normalmaß zurückgeschrumpft. Und das ist vielleicht gut so“, ziehen Sachsens SPD-Genossen längst nüchtern Bilanz, um dafür Jurk vor zwei Wochen auf einem Programmparteitag plötzlich umso heftiger Beifall zu spenden. Der kann sich auf die Frage nach Wolfgang Tiefensee eine kurze und knappe Antwort leisten: „Die Sache ist geklärt.“
Offenbar auch in Berlin, denn ein erneuter Ruf von dort ist nicht zu erwarten. Man habe Tiefensee zweimal für höhere Aufgaben – Aufbauminister und sächsischer Spitzenkandidat – gewinnen wollen, so ein Vertrauter von Kanzler Gerhard Schröder zur SZ. „Zweimal hat er Nein gesagt.“ Ein drittes Mal werde man sich nicht an ihn wenden. „Ein diesbezüglicher Wunsch müsste von ihm selbst oder aus Sachsen kommen“, heißt es. Das könnte dauern.
(Von Gunnar Saft und Sven Siebert)