Leipziger Volkszeitung LVZ/DNN, 22.06.2004
Stiller Abgang aus dem Landtag nach 14 Jahren
Dresden. Nein, es sei nicht die Zeit zum Abschied nehmen, zum Bilanz ziehen und Nachdenken über Höhen und Tiefen seiner alten Amtszeit, sagt Professor Kurt Hans Biedenkopf, 74 Jahre alt, Ex-Ministerpräsident von Sachsen, Noch-Landtagsabgeordneter der CDU und viel als Redner und Interviewpartner im In- und Ausland unterwegs. So gestern Abend im Leipziger Hauptbahnhof bei der MDR-Diskussionsrunde "Fakt ist ...". "Es ist eine schöne Zeit in Sachsen. Und die wird es bleiben", sagt Biedenkopf kategorisch. Kein Blick zurück jetzt, weder im Zorn noch in Selbstzufriedenheit. Aber dennoch: Am Freitag findet die 110. und letzte Landtagssitzung dieser Wahlperiode und damit ein leiser Abschied von Kurt Biedenkopf statt, fast 14 Jahre nach der Konstituierung des ersten sächsischen Landtages nach der Wende am 27. Oktober 1990.
Auch nach seinem Abgang als Regierungschef im April 2002 hat der Abgeordnete brav die Sitzungen besucht, auf seinem Platz gelesen und geschrieben, hin und wieder den Parteifreunden applaudiert. Am Donnerstag in der Debatte über die Bilanz dieser Wahlperiode will er nun noch einmal das Wort ergreifen. Doch zum teilweise brutal und mit Regalrabatten geführten Machtwechsel zu seinem ungewollten Nachfolger Georg Milbradt (Biedenkopf: "ein hervorragender Fachmann, aber ein miserabler Politiker") will sich "König Kurt" nicht mehr äußern. Kein Wort mehr, das das Image des Elder Statesmen, des erfahrenen, gefragten, über den Dingen stehenden Staatsmannes beschädigen könnte. Das dürfte auch nicht auf der Abschiedfseier der CDU-Fraktion am 7. Juli in Meißen zu erwarten sein. Fraktionschef Fritz Hähle will zurückblicken auf Freud und Leid, auf Erfolg und Misserfolg der Legislaturperiode und die Leistung der altgedienten Kollegen würdigen. Mit besonderem Blick freilich auf Kurt Biedenkopf.
Das Ende sei zugleich der Beginn von etwas Neuem, sagt Biedenkopf. Er werde die Politik weiter begleiten, aber nicht im parteipolitischen Sinne. Es gebe schließlich umfassendere Fragen wie den Umbau der Sozialsysteme und die europäische Integration. Sein Platz, sagt Biedenkopf, sei zwar nicht mehr in der Landespolitik, aber immer noch im Lande. Nach 14 Jahren habe er in Sachsen Wurzeln geschlagen. In Radebeul bewohnt er mit Gattin Ingrid eine Wohnung in der Villa des Tengelmann-Chefs Erivan Haub. Doch oft ist er auf Reisen, hält "15 bis 20 Vorträge im Jahr", in den USA, in der Schweiz und anderswo. "Solange ich gesund bin, werde ich auch arbeiten", sagt der 1930 Geborene und plant zunächst für die nächsten fünf Jahre weiter.
Nach Posten in der Geschäftsführung des Chemiekonzerns Henkel, als Generalsekretär der CDU, wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, CDU-Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen und seiner Amtszeit in Sachsen kehrt der einstige Rektor der Ruhruniversität Bochum zurück in die Wissenschaft: Als Präsident der "Dresden International University", der privatrechtlichen Aus- und Weiterbildungsstätte der TU Dresden; als Kuratoriumsvorsitzender der "Hertie School of Governance", einer neu gegründeten Ausbildungsstätte der Hertie-Stiftung für Führungskräfte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft; als Mitbegründer des "Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft", das Biedenkopf 1977 mit dem Kollegen Meinhard Miegel aus der Taufe hob. "Der Kreis schließt sich - aber nun mit den Erfahrungen aus Wirtschaft und Politik", sagt Biedenkopf.
Zuhause warten derweil die umfangreichen Tagebücher, die "der Alte" redigieren möchte und "ein, zwei Bücher", die er vielleicht schreiben will. Aber im Moment, sagt Biedenkopf, "ist noch keine Bücherschreibzeit."
(Sven Heitkamp)