Sächsische Zeitung, 26.06.2004
Abgesangskarrieren
Sächsisch betrachtet von Gunnar Saft
WAS tun nach der Wahl? Keine abstrakte Frage nur für Parteien, sondern auch eine, die sich so mancher Politiker persönlich vor dem Schicksalstag stellt. In der sächsischen CDU scheint die Panik besonders groß zu sein, obwohl die Umfragen doch gar nicht so schlecht sind. Aber wer klug ist, baut vor. So wie Wirtschaftsminister Martin Gillo, der seit kurzem nicht mehr nur promovierter Sozialpsychologe ist, sondern auch einen „anständigen“ Beruf hat: Zur feierlichen Übergabe des „Lößnitzdackels“ wurde Gillo im Handumdrehen zum zertifizierten „Ehrenlokführer“ ausgebildet. Für eine kurze Strecke durfte der Minister höchstpersönlich im Führerstand stehen. Zur Freude der Gäste meisterte er den neuen Job mit Bravour: Der Zug sprang zumindest nicht aus den Gleisen.
AUCH Altministerpräsident Kurt Biedenkopf lernt gerade einen neuen Beruf: Versicherungsvertreter. In ganzseitigen Hochglanz-Anzeigen wirbt der CDU-Politiker für die private Krankenversicherung. Wenn es die nicht gäbe, „müsste man sie erfinden“, sagt er in der Werbung. In der schwarz-weiß gehaltenen Anzeige sieht König Kurt allerdings nicht einmal halb so frisch und munter aus wie beispielsweise sein erfundener Werbekollege „Herr Kaiser“, der ebenfalls Versicherungen anpreist. Biedenkopf schaut im Gegenteil drein, als wäre der Sozialstaat gerade eben in sich zusammengestürzt und hätte obendrein die Enkelchen unter sich begraben. Das muss noch geübt werden! Vielleicht kann man griesgrämig Politik verkaufen, aber doch keine Versicherungen!
ERST recht keinen großen beruflichen und nebenberuflichen Erfolg räumte jüngst in der Landtagssitzung der CDU-Abgeordnete Hans Heinz Lehner in einer Rede ein. In einer Debatte zur Gentechnik gestand er, eigentlich keine Ahnung vom Thema zu haben: „Ich müsste fachlich Experte sein. Das bin ich nicht.“ Als Fleischermeister habe er „höchstens die Ergebnisse der Züchtung bei Tieren in Bezug auf Nutzbarkeit und Qualität beurteilen können“, sagte Lehner zur Erheiterung speziell der Opposition. „Weshalb die Wahl, hier und heute zu reden, auf mich fiel, ist mir ein kleines Rätsel.“ Der Grund könnte sein „Schwanengesang“ sein, mutmaßte Lehner. Eine 1a-Vorlage für SPD-Chefaufklärer
Karl Nolle: „Ich dachte, der Abgesang!“