Freie Presse Chemnitz, Seite 4, 29.06.2004
Chance zum Neubeginn: Krehls Rücktritt: Ergebnis von Anpassung und Realitätsverlust
Kommentar von Hubert Kemper
Über Constanze Krehl gab es in den letzten Monaten nicht viel Gutes zu berichten. Zielsicher trat sie in jedes Fettnäpfchen, instinktlos ignorierte sie die Stimmung in ihrer Partei. Bleibenden Erinnerungswert behält das Video, mit dem die sächsische SPD-Chefin ihre 4.600 Mitglieder zu Weihnachten beschenken wollte. Die gestelzte Werbeshow in eigener Sache mutierte zur Lachnummer.
Überhaupt nicht lustig dagegen, mit welch eisiger Härte die Sozialdemokratin eine langjährige, schwerbehinderte Mitarbeiterin aus ihrer Landesgeschäftsstelle entfernen wollte. Angeblich hatte die Frau 4,50 Euro zuviel bei einer Dienstfahrt abgerechnet. Das Parteivolk erschrak, aber die Vorsitzende zeigte sich ungerührt. Krehl, so sagten Insider, habe die Realität ausgeblendet. Weder die Schlappe bei der Europawahl, noch den Sturz in die Bedeutungslosigkeit auf kommunaler Ebene habe sie mitbekommen.
Nun ist sie zurückgetreten. Den Aufstand der Basis konnte sie nicht mehr ignorieren. Bis zuletzt hatte Krehl auf Strippenzieher im Vorstand gesetzt. Sie hatten ihr eingeredet, unliebsame Genossen ausbooten zu können. Anpassung als Signal des Aufbruchs? - Weißgerber, ihr Förderer, und Krehl mögen sich beim Kanzler beliebt gemacht haben. „Wenn wir unsere Constanze aus Leipzig nicht hätten", so wird ein Schröder-Spruch kolportiert, „würde niemand mehr hinter uns stehen". Das mag sie als Schmeichelei empfunden haben. Doch die vielen Trips nach Straßburg und Brüssel haben der Europaabgeordneten den Stallgeruch entzogen. Die große Politik raubte Zeit für die kleine Partei und trübte den Blick für die Sorgen der Menschen. Kritik an den Sozialreformen hat man von Krehl nicht vernommen. Loyalität mit dem Kanzler stand höher als Sensibilität für die Nöte ihrer Wähler.
Nur mühsam hatte sich die schon 1999 böse abgestrafte sächsische SPD nach der Absage von Wunschkandidat Tiefensee auf eine Tandemlösung Jurk-Krehl geeinigt. Das Scheitern war programmiert. Die beiden trennen Welten, politisch und mental. So ist der Rücktritt Krehls für die SPD ein Befreiungsschlag. Knapp drei Monate vor der Wahl hat die Partei die Chance, noch einmal durchzustarten. Mit Thomas Jurk kann nun ein Mann an die Spitze rücken, der weiß, wovon er spricht. Die Delegierten haben ihm am Sonntag einen Vertrauensvorschuss geschenkt. Den muss er nun beim Wahlvolk bestätigen.