Agenturen dpa/sn, 20:13 Uhr, 16.08.2004
Mehr als 35 000 Menschen protestieren in Sachsen gegen Hartz IV
Leipzig (dpa/sn) - Mehr als 35 000 Menschen haben am Montag in Sachsen gegen die Arbeitsmarktreform demonstriert. Sie folgten dem Aufruf von Gewerkschaften, der PDS, dem Sozialforum Leipzig, Globalisierungsgegnern von Attac und vielen anderen Organisationen, die sich gegen Hartz IV auflehnen. Schwerpunkt bildeten die Proteste in Leipzig. Laut Veranstalter kamen weit mehr als 25 000 Menschen zu Demonstration und Kundgebung. Die Polizei sprach von rund 20 000 Teilnehmern. In Dresden hatten sich mindestens 2000 Menschen vor der Kreuzkirche versammelt, die Veranstalter sprachen von 4000. In Chemnitz protestierten rund 5000 Menschen in der Innenstadt, in Plauen etwa 900 Menschen.
Zum Auftakt der Proteste in Leipzig gab es in der Nikolaikirche, dem historischen Ausgangspunkt der Montagsdemonstrationen von 1989, ein Gebet und eine Mahnwache. Nikolaikirchen-Pfarrer Christian Führer betonte, es gehe bei den Protesten gegen Hartz IV nicht um Stammtischparolen, sondern um Widerstand gegen die Massenarbeitslosigkeit. Die Menschen wollten die Chance haben, zu arbeiten. Das treibe sie auf die Straße. «Deutschland bewegt sich», sagte Führer. Sein Name steht seit 1982 für die Friedensgebete. In Einheit mit den Protesten trugen sie 1989 maßgeblich zu der politischen Wende bei.
«Schröder lässt uns hier allein, ohne Arbeit, ohne Lohn werden wir wieder die Dummen sein», «Armut - Angst - Obdachlos?» oder «Menschen Würde(n) Arbeit(en)» lauteten Losungen, die die Demonstranten mit sich führten. Unter dem Motto «Gegen Hartz IV und Agenda 2010. Für Arbeit, Gerechtigkeit und Solidarität» zog eine bunt gemischte Menschenmasse durch die Leipziger Innenstadt zur Kundgebung auf dem Platz vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Die jüngsten Zugeständnisse der Bundesregierung wertete der Sprecher des Leipziger Sozialforums, Winfried Helbig, als Erfolg der Proteste. Sie seien aber nur «kosmetische Korrekturen», sagte er. Er betonte zudem, dass sich die Demonstranten in Ost und West nicht auseinander dividieren lassen dürften. In Dresden warnte DGB- Regionalchef Frank Fischer vor einer drohenden Verarmung und Lohndumping durch Hartz IV. Die Reformen der Bundesregierung hätten fast ausschließlich Sozialabbau zur Folge, kritisierte er unter dem Beifall der Kundgebungsteilnehmer.
In Zittau versuchte der CDU-Landtagsabgeordnete Heinz Eggert vergeblich, vor rund 300 buhenden Demonstranten Züge der Reform zu verteidigen. Beobachter sprachen von einer aufgeheizten Stimmung. In Leipzig kam es ebenfalls unter Teilnehmern zu Wortgefechten, darunter auch gegen PDS-Anhänger. Die Klientel spalte sich auf, sagte ein Polizeisprecher. Ernste Zwischenfälle oder Handgreiflichkeiten seien aber ausgeblieben.
Trotz der Zugeständnisse der Bundesregierung war es am Montag in vielen Teilen Deutschlands Proteste gegen die Reform gekommen. Die meisten Demonstranten kamen diesmal zu Kundgebungen in Leipzig, Berlin und Magdeburg. Im Gegensatz zu Ostdeutschland gingen im Westen kaum Menschen auf die Straße. Dort demonstrierten nach Polizeiangaben in Hamburg, Kassel, Saarbrücken und 13 nordrhein-westfälischen Städten etwas mehr als 3000 Menschen.
dpa nl/vk/st/bd yysn gr
162013 Aug 04