taz - die tageszeitung, 21.09.2004
Aus Gegnern werden Partner
In Sachsen bleibt rechnerisch und politisch nur eine Koalition der Verlierer. Aber CDU und SPD sind sich keineswegs durchweg wohlgesinnt. Die beschaulichen Zeiten sind in Dresden jedenfalls vorbei
DRESDEN taz Eine halbe Stunde vor Mitternacht entlud sich auf der gruenen Wahlparty die angestaute Spannung im Jubel. Mit den spaet gemeldeten Ergebnissen aus den Grossstaedten war man endlich "drin", wenn auch nur knapp mit 5,1 Prozent. Wunderkerzen brannten, Spitzenkandidatin Antje Hermenau hoppste mit Parteichef Buetikofer durch den Saal. Bis zuletzt hatte ein Zehntelprozent gefehlt, um die Fuenfprozenthuerde zu nehmen.
Regierungspolitik wie in Berlin wird fuer die Gruenen damit freilich nicht verbunden sein, sondern die angekuendigte Opposition. Eine Aussage, die einige sicher geglaubte gruene Waehler davon abgehalten haben soll, ihre Favoriten auch zu waehlen. Eine schwarz-gruene Option aber, da ist man sich einig, waere ein groesserer Fehler gewesen.
Sie haette bei sechs Mandaten auch rechnerisch nichts genuetzt - wie den Liberalen uebrigens auch. "Wenn man schlicht die Landtagssitze addiert, kommt man darauf, dass CDU und FDP zusammen keine Mehrheit haben", weicht Ralph Schreiber als Sprecher des CDU-Landesvorstandes der Frage nach einem moeglichen Koalitionspartner aus. Alles Weitere werde der Landesvorstand am Montagabend entscheiden.
Erst mit dem spaeten Einzug der Gruenen war die endgueltige Sitzverteilung im kuenftigen Saechsischen Landtag klar geworden. Die CDU-Fraktion schrumpft von bisher 77 auf 55 Sitze und profitiert dabei noch von zwei Ueberhangmandaten, weil sie 55 der 60 Wahlkreise direkt gewonnen hat. Die beiden dadurch faelligen Ausgleichsmandate kommen der PDS und der SPD zugute. Die Mehrheit in dem auf 124 Sitze gewachsenen Landtag liegt also bei 63 Stimmen und wird von CDU und der siebenkoepfigen FDP-Fraktion nicht erreicht. Ministerpraesident Georg Milbradt vermied es am Wahlabend, auf die Offerten der Liberalen einzugehen. Deren Spitzenkandidat Holger Zastrow hatte nach den ersten, guenstigeren Hochrechnungen sein Angebot wiederholt, gemeinsam eine "stabile buergerliche Politik" zu sichern. Als wichtigsten Preis dafuer hatte er Reformen in der Bildungspolitik genannt. Ein guter Milbradt-Vertrauter aber warnte umgehend davor, sich mit den Liberalen einzulassen. Arnold Vaatz, einst Minister in Sachsen und jetzt im Bundestag, sah weder greifbare Inhalte noch zumutbares Personal bei der FDP in Sachsen.
Das hat sich inzwischen erledigt. Wahrscheinlicher ist, dass ausgerechnet die SPD im Jahr ihres schlechtesten Abschneidens zum Koalitionspartner avanciert. "Da wird der Thomas noch Minister", hatte der Magdeburger Fraktionschef Jens Bullerjahn schon Anfang August ueber seinen saechsischen Kollegen Thomas Jurk orakelt. "Ich rechne mit einem Gespraechsangebot der CDU", sagte der dem MDR am Montag vor seiner Abreise in die Berliner Parteizentrale.
Diese mittelgrosse Koalition - die SPD erreichte nur 13 Mandate - birgt indessen einigen Zuendstoff. Kaum vorstellbar, dass der bislang bissigste Regierungskontrolleur und "Chefaufklaerer", der profilierte SPD-Landtagsabgeordnete
Karl Nolle, ploetzlich selbst in Regierungsverantwortung kommt. "Jeder tut, was er kann an seinem Platz", weicht er solchen Fragen aus. Ein offenes Geheimnis ist, dass die von der SPD im Wahlkampf favorisierten Themen auch in Koalitionsverhandlungen Prioritaet haben werden. Voran die Bildungspolitik, wo es mit Forderungen nach achtjaehriger gemeinsamer Schulzeit, Vermeidung weiterer Schulschliessungen oder besserer Hochschulausstattung unueberbrueckbare Gegensaetze zur CDU gibt. Nolle fuegt noch die Mittelstandsfoerderung, regionale Wirtschaftspolitik oder eine bessere kommunale Finanzausstattung als Knackpunkte hinzu. Und wenn man sich nicht einigen kann? "Dann bleiben nur Neuwahlen." Angesichts des NPD-Erfolgs aber sollten nach seiner Auffassung alle Demokraten zum Konsens faehig sein.
MICHAEL BARTSCH