Sächsische Zeitung, 29.09.2004
Milbradt öffnet sein Kassenbuch
Staatsfinanzen sind erstes Verhandlungsthema der Koalitionsrunde / SPD erhält Haushaltsentwurf zur Prüfung
Die Koalitionsverhandlungen begannen mit Regen. Als die Delegationsmitglieder von CDU und SPD gestern Nachmittag per Staatskarosse und Taxi im Dresdner Ständehaus eintrafen, empfing sie ein heftiger Wolkenbruch. Ein Grund mehr, sich schnell und wortkarg an den wartenden Journalisten vorbeizudrängeln. Er hoffe auf einen Erfolg, so der SPD-Landeschef Thomas Jurk. Seine Erwartungen an das Treffen seien hoch, so CDU-Landeschef Georg Milbradt. Dann schlossen sich erstmals für zweieinhalb Stunden die Türen im Raum 2.53.
Kein Zeitdruck: Vertrag notfalls auch erst 2005
Zu dem Zeitpunkt war die wichtigste Entscheidung des Tages jedoch längst gefallen. Die Staatsregierung unter dem amtierenden Ministerpräsidenten Milbradt wird sich notgedrungen in den Zeitplan fügen, über den die SPD bereits in den Tagen zuvor öffentlich spekuliert hatte. Demnach verabschieden sich beide Seiten endgültig vom Vorhaben, den Koalitionsvertrag noch bis zum 19. Oktober und damit bis zur konstituierenden Sitzung des Landtags unter Dach und Fach zu bekommen. Stattdessen geht man nun auch offiziell von einem monatelangen Tauziehen aus. Letztmöglicher Stichtag für eine Einigung ist der 19. Januar 2005. Spätestens dann muss das Parlament einen neuen Ministerpräsidenten gewählt und die vorerst im Amt verbleibende Regierung ihre Staatsgeschäfte aufgegeben haben. Verpackt wurde die ernüchternde Botschaft in markige Worte. „So zügig wie möglich, so lange wie nötig“ sei das Verhandlungsmotto der SPD, erklärte Jurk. Es sei halt keine Liebesheirat, sondern eine Vernunftehe, in der beide Partner erst zueinander finden müssen, entschuldigte sich Milbradt und verwies darauf, man müsse zunächst schauen, wo es überall Kontroversen gibt und wo nicht.
Auf Details wollte Milbradt dabei partout nicht eingehen. Er wird wissen warum. Den beiden Verhandlungspartnern drohen nämlich bald mehr Zwistigkeiten, als ihnen lieb sein kann. Der Grund liegt im 1 500 Seiten starken und bisher geheimen Haushaltsentwurf für 2005/2006, den die CDU-Regierung der SPD inzwischen zum Studium übergeben hat. Die Sozialdemokraten strotzen bereits vor Kampfeslust: „Es ist nicht zu erwarten, dass wir das Ding einfach so durchgehen lassen.“ Die SPD stellt sich mit solchen Tönen allerdings auch selbst gehörig unter Druck. Denn Forderungen wie die nach Einstellung von 700 neuen Polizisten, nach dem Erhalt von kleinen Schulen oder nach Aufstockung des Lehrpersonals müssen am Ende auch bezahlt werden.
Genau gegen die wichtigsten SPD-Forderungen im Bildungsbereich kommt jetzt aber geballter Widerstand aus dem CDU-Lager. Unisono wird dort einer Einheitsschule und damit einer gemeinsamen achtjährigen Schulzeit eine Absage erteilt (siehe Beitrag rechts). Diese Kampfansage dürfte das Verhandeln im Raum 2.53 nicht leichter machen.
Umso mehr, als beide Partner inzwischen durch erste Querschüsse hinter den Kulissen gereizt werden. So machten CDU-Kreise pünktlich zum Verhandlungsauftakt bisher unbekannte Vorwürfe gegen die Chemnitzer Sozialdezernentin Barbara Ludwig bekannt, die als einzige Frau mit am Koalitionstisch sitzt. Ludwig war vor zwei Jahren in einen tragischen Unfall verwickelt. Am Steuer ihres Wagens übersah sie in einer Fußgängerzone einen Rollstuhlfahrer, der später an den Folgen des Zusammenstoßes starb. Ludwig wurde zu 90 Tagessätzen verurteilt und gilt spätestens jetzt nicht mehr als Kandidatin für das Amt der Sozialministerin. Nichtsdestotrotz versprachen sich Milbradt und Jurk gestern gegenseitig Fairness. Mal sehen, ob es hilft.
(Von Gunnar Saft)