Frankfurter Rundschau, 20.10.2004
Erinnern an die NS-Opfer - vor grinsenden NPD-Abgeordneten
In Dresden kam erstmals der neu gewählte Landtag zusammen - und nichts mehr ist wie zuvor
In Dresden kam der neu gewählte Landtag zusammen. Das besondere Interesse galt der NPD, deren zwölf Abgeordnete vor allem durch ihr Schweigen auffielen.
Blauer Himmel über Dresden, schönstes Herbstwetter, Raddampfer stampfen über die Elbe am Sächsischen Landtag vorbei. Und nichts ist mehr so wie bei den Parlamentssitzungen in den vergangenen 14 Jahren. Dutzende Polizisten bewachen das weiträumig abgesperrte Plenargebäude, ungefähr 250 Demonstranten stehen davor. Die Grünen-Abgeordnete Antje Hermenau ruft ihnen zu: Heute wolle die NPD Sachsen erobern, morgen Deutschland, übermorgen die ganze Welt.
Die erste Sitzung des neu gewählten Landtages: Erstmals keine absolute CDU-Mehrheit mehr, die Koalitionsverhandlungen mit der SPD dauern an. Erstmals sechs Parteien, erstmals Rechtsextremisten: Zwölf der 124 Abgeordneten gehören der NPD an, die bei der Wahl am 19. September 9,2 Prozent Stimmenanteil geholt hatte.
Kurz vor zehn Uhr betreten elf NPD-Männer und eine NPD-Frau das Plenum, umlagert von Fotografen und Reportern. Ob er denn damit rechnen müsse, als Ausländer aus Deutschland geworfen zu werden, wenn die NPD so könnte, wie sie wollte, will ein dunkelhäutiger Reporter von NPD-Fraktionschef Holger Apfel wissen. Aber der schweigt - so wie alle NPD-Abgeordneten - auf Reporterfragen an diesem Morgen.
Cornelius Weiss, SPD-Abgeordneter, eröffnet als Alterspräsident den Landtag. Der 71-Jährige hält eine kluge Rede, in der er sich darüber ärgert, dass "von der Geschichte längst widerlegte obskure Heilslehren politischer Scharlatane" zunehmend Anhänger fänden. Die Rede endet mit dem Verlesen der Namen von sächsischen Landtagsabgeordneten, die in der Nazizeit ermordet wurden, und wird ergänzt mit Namen der Studenten, die in der sowjetisch besetzten Zone nach 1945 starben.
Alle Parteien applaudieren bis auf die zwölf NPD-Politiker, die schweigend da hocken, wobei einige erst aufhören zu grinsen, als sie merken, dass Kameras auf sie gerichtet sind.
Die demokratischen Parteien hatten in den Tagen zuvor erklärt, wie sie mit den Rechtsextremisten umgehen wollten. Einfach wird es nicht. Mit einer Mischung aus Ignorieren und heftigem Widerspruch wollen CDU, SPD, PDS, Grüne und Liberale vorgehen. Aufstehen und den Raum verlassen, wenn die NPD redet, will niemand. Wie auch, wenn sie demnächst Ausschussvorsitzende stellen darf.
Die Rechtsextremen kündigten an, Sachpolitik betreiben zu wollen. Sie müssen das selbst gemalte Bild von der eigenen Rechtschaffenheit reparieren, nachdem Sachsens Zeitungen in den vergangenen Wochen schon voll waren mit Berichten von dem insolventen Landesparteichef, der als Ladendieb erwischt worden war, und dem Abgeordneten, der Mitgliedsbeiträge abgezweigt hatte.
von Bernhard Honnigfort