Sächsische Zeitung am Sonntag, 24.10.2004
Mitbestimmung einschränken?
PRO & KONTRA
Die paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer in deutschen Firmen steht einmal mehr in Frage. Das Schwanken von Konzernriesen wie Opel und Karstadt-Quelle, aber auch die jüngsten „wilden" Streiks bei Opel in Bochum zeigen nach Ansicht einiger Politiker, dass das deutsche Mitbestimmungsmodell keine ausreichenden Lösungen für existentielle Firmenkrisen bietet. In dieser Woche kündigte FDP-Chef Wolfgang Gerhardt deshalb eine Initiative seiner Partei zur Beschränkung des Mitbestimmungsrechtes an. Er verlangte, die Aufsichtsgremien zu verkleinern und die Zahl der Gewerkschafter in den Aufsichtsräten zu verringern.
Industriepräsident Michael Rogowski hatte die Vorlage dazu geliefert und die paritätische Mitbestimmung sogar als „Irrtum der Geschichte" bezeichnet, der beendet werden müsse. SZ am Sonntag fragte jetzt in Sachsen: Ist es sinnvoll, das innerbetriebliche Mitbestimmungsrecht einzuschränken? (stm, dn)
Karl Nolle (59), Druckunternehmer, für die SPD im Landtag
Für Dieter Hundt und Michael Rogowski ist die Mitbestimmung „ein Irrtum der Geschichte", für CDU und FDP das Ziel neoliberaler Äxte. Aber sie hat sich mit Anhörungs-, Mitsprache- und Mitwirkungsrechten - weltweit einzigartig - bewährt. Sie ist kein Irrtum der Geschichte, hat Deutschland nicht geschwächt, sondern gestärkt. Sie hat, wie unser Sozialstaat, soziale Gegensätze entschärft. Sie braucht, wie dieser, eine Therapie, aber kein Insolvenzverfahren.
Karl-Heinz Gerstenberg (52), Parl. Geschäftsführer Grüne Sachsen
Ein Aushöhlen der innerbetrieblichen Mitbestimmung schadet der Demokratie und zugleich auch den Unternehmen. Das erfolgreiche Modell der Mitbestimmung fördert die Produktivität und die Leistungsbereitschaft. Gerade in Krisensituationen hat sich dieses Modell bewährt. Wer jetzt Kooperationsabbau sät, wird mehr Streiks ernten. Die Mitbestimmung muß künftig qualifiziert und europäisiert werden, statt sie einem Vulgär-Kapitalismus zu opfern.
Lars Fiehler (34), Industrie- und Handelskammer Sachsen
Auch mittelständische Unternehmen müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit international messen lassen. Dem muß eine moderne betriebliche Mitbestimmung Rechnung tragen. Gerade wenn Geschäftsführer gleichzeitig als persönlich haftende Gesellschafter in der Gesamtverantwortung stehen, ist es nachvollziehbar, wenn diese ihre Entscheidungen ohne die Beeinflussung Dritter umsetzen wollen. Mitbestimmung, die eher verteilen als erwirtschaften will, schadet.
Rainhart Lang (50), Prof. Betriebswirtschaftslehre, TU Chemnitz
Die Mitbestimmung ist ein wichtiger Teil der deutschen Arbeitskultur, sie trägt viel zum Betriebsfrieden bei und gilt auch US-Wissenschaftlern als Vorbild. Ihre Einschränkung würde die Motivation der Belegschaft verringern, mit harten ökonomischen Folgen. Für die Reformen ist die Mitbestimmung kein Hindernis: Länder mit ausgeprägter Sozialpartnerschaft wie Schweden und Holland haben ihre Arbeitsund Sozialsysteme bereits erfolgreich umgestaltet.
Michael Eckstein (31), Bund Junger Unternehmer Sachsen
Die betriebliche Mitbestimmung muß nicht abgeschafft werden, sie sollte aber frei vereinbart werden können. Das heißt: Die Schwellenwerte für die Betriebsratsgröße müssen angehoben und das vereinfachte Wahlverfahren abgeschafft werden. Der BJU schlägt ein Modell vor, nach dem jeder Betrieb sich seine Betriebsverfassung selber wählen dürfte, in Übereinstimmung mit dem Betriebsrat oder der Betriebsversammlung.
Andreas Lämmel (45), Wirtschaftpolitiker, für die CDU im Landtag
Die paritätische Mitbestimmung hat sich grundsätzlich bewährt. Sie darf aber nicht zum Standortnachteil bei länderübergreifenden Firmenfusionen werden und heimische Arbeitsplätze gefährden. Wichtiger als eine Reduzierung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ist die Verkleinerung der Betriebsräte auf ihre ursprüngliche Größe. Rotgrün hat die Kosten für Betriebsräte im Vergleich zu 1998 um 27 %n die Höhe getrieben und so die Arbeitskosten erhöht.