Freie Presse Chemnitz, 29.10.2004
Guter Kompromiss: Mit Investitionen in die Bildung kann auch die CDU gut leben
Kommentar von Hubert Kemper
Die Entwicklung der Schülerzahlen in Sachsen sind Vorboten der demografischen Katastrophe, auf die der Osten in noch drastischerer Weise zusteuert als der Westen der Republik. Sie haben sich im Vergleich zur Wende halbiert. Im umgekehrten Verhältnis bewegte sich die Diskussion um den richtigen Weg in der Schulpolitik. Das Streitpotenzial hat sich verdoppelt. Die Gründe liegen auf der Hand. Schüler sind zu einem seltenen Gut geworden. Die Schließung von Schulen macht vielerorts das langsame Sterben ländlicher Regionen schonungslos deutlich. Zudem stellte die Pisa-Studie dem deutschen Unterrichtssystem kein gutes Zeugnis aus.
Mit einer zwölfstündigen Sitzung im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD erreichte der Streit seine bisher prominenteste Plattform. Die Bildung einer neuen Regierung blockierte er nicht, obwohl sich die Positionen vorher gefährlich hoch geschaukelt hatten. Die Christdemokraten hatten bei der Wahl am i g. September auch deswegen Federn lassen müssen, weil sie für eine rigide Schulschließungspolitik verantwortlich gemacht wurden. Eine Rolle rückwärts konnten sie der Basis, die den Druck aushalten musste, nicht zumuten.
Die SPD darf mit den Kompromissen, die sie ausgehandelt hat, zufrieden sein. Befreit vom Rausch des Machtgewinns und vom Druck der Gewerkschaftsforderungen nahm sie den Wählerwillen zur Kenntnis. Der hatte ihr weniger als ein Viertel der CDU-Stimmen zugesprochen und keinen Auftrag für eine neue Schulordnung erteilt. Die Pragmatiker in der kleinen Landespartei werden es leicht haben, das Ergebnis vor ihren Mitgliedes als Erfolg zu verkaufen. Ohne das im bundesweiten Pisanergleich ausgezeichnete System komplett umzustülpen, ist ein Ventil geöffnet worden: Längerer gemeinsamer Unterricht nach finnischem Vorbild soll nun kein Tabu mehr sein. Größere Durchlässigkeit heißt das Prinzip, wenn Schüler nach der sechsten oder siebten Klasse auf das Gymnasium wechseln wollen.
Weniger Widerstand war bei der Aufstockung der Mittel für Vor- und Grundschulen aus dem Weg zu räumen. Das personelle Defizit bei den Grundschullehrern hätte in Kürze ohnehin zu Neuverhandlungen der Teilzeitvereinbarung geführt. Die meisten Lehrer unterrichten schon jetzt erheblich länger als die ursprünglich vereinbarten 57 Prozent der Stundenzahl. Schön wäre es, wenn 8oo neue Lehrer eingestellt werden könnten, wie es gestern hieß. Doch das funktioniert vorerst nicht, weil jährlich nur 5o Grundschullehrer ausgebildet werden und zugleich der Stellenabbau unverändert im Gange ist. Allein in diesem Jahr werden 1300 Stellen gestrichen, vorwiegend im Bereich der Mittelschulen und der Gymnasien.
Gut sind Kompromisse, wenn beide Seiten damit leben können. Noch besser, wenn sie dem Land dienen. Das scheint gelungen.