mdr-online, 17:56 Uhr, 03.09.2004
Untersuchungsausschüsse
Die lange Suche nach der Wahrheit
War es eine Amigo-Affäre?
Hat Barth Biedenkopf Mietbedingungen diktiert?
Wurde Rittinghaus gezwungen zu spenden?
Wer steuerte die Werbekampagne?
Wurde Rittinghaus hintergangen?
Die Geschichte war nicht wirklich neu. Die Causa Paunsdorf hatte schon 1996 den Sächsischen Rechnungshof beschäftigt - ohne irgendwelche Konsequenzen. Deshalb gaben sich der damalige Regierungschef Kurt Biedenkopf und seine Union ziemlich gelassen, als die Opposition aus PDS und SPD im Winter 2000 das Thema anpackte und einen Untersuchungsausschuss verlangte. Die Anschuldigungen wogen schwer: Begünstigung und Vorteilnahme. Der Kölner Unternehmer Heinz Barth hatte Anfang der 90er in Leipzig-Paunsdorf ein Bürocenter gebaut und Biedenkopf soll dafür gesorgt haben, dass Landesbehörden zu überhöhten Mieten einzogen. Dem Land sei dadurch ein Schaden von 118 bis 138 Millionen Euro entstanden, rechnete die Opposition vor.
Die zwei von der Baustelle: Barth und Biedenkopf
War es eine Amigo-Affäre?
Es roch nach Amigo und Affäre. Die Opposition kündigte an, an Beispiel Paunsdorf das "System Biedenkopf" untersuchen zu wollen. Auf ihr Betreiben wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Es vergingen jedoch neun Monate, bis der Hauptakteur vorgeladen wurde. Biedenkopf meisterte die Fragestunde. Er bestritt jegliche Einflussnahme, verwies darauf, dass 1993 dringend Büroräume benötigt wurden und dass Investoren nicht auf Bäumen wüchsen, sondern "herbeigeschleppt" werden müssten. Nach sechs Stunden verließ Biedenkopf den Saal und Augenzeugen berichteten von einem Lächeln in seinem Gesicht.
Der Untersuchungsausschuss ging erneut auf einen Tauchgang. Derweil sorgte Biedenkopf selbst für Schlagzeilen: der peinliche Rabatt-Streit in einem Möbelhaus, die Affäre um Köche und Putzfrauen, das viel zu billige Wohnen in einer Staatsvilla. Das Ansehen des ungekrönten Königs war ramponiert. Zudem ging ihm auf die alten Tage sein politischer Instinkt abhanden. Unvermittelt warf Biedenkopf seinen langjährigen Finanzminister und als Kronprinzen gehandelten Georg Milbradt aus dem Kabinett. Die Partei murrte und probte den Aufstand. Gegen den ausdrücklichen Willen Biedenkopfs wählte sie im Herbst 2001 Milbradt zum neuen Parteichef.
Biedenkopf: Investoren mussten "herbeigeschleppt" werden
Hat Barth Biedenkopf Mietbedingungen diktiert?
Bei so viel politischer Unterhaltung trat die Paunsdorf-Affäre in den Hintergrund. Bewegung entstand erst wieder, nachdem ein Brief von Barth an Biedenkopf aus dem Jahr 1993 aufgetaucht war. Darin listet Barth jene Behörden auf, die in Paunsdorf einziehen sollen, und nennt Mietpreis und Mietdauer. Für den SPD-Obmann im Ausschuss,
Karl Nolle, war das der letzte Beweis dafür, dass Biedenkopf sich die Mietbedingungen von seinem Duzfreund Barth diktiert ließ. Zumal Biedenkopf den Inhalt des Briefes fast unverändert in einem Vermerk an seinen damaligen Finanzminister Milbradt wiedergegeben hatte.
Es war die CDU, die den Regierungschef noch einmal vor den Untersuchungsausschuss zitierte. Manche sahen in dieser Aktion einen Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Staatskanzlei. Nach den vielen Affären fürchtete die Union, Biedenkopf könnte endgültig den Zeitpunkt für einen würdigen Abgang verpassen und so zu einem ernsthaften Imageproblem für die Partei werden. Im Januar 2002 trat Biedenkopf erneut vor den Ausschuss und plädierte auf "unschuldig". Mit dem Vermerk an Milbradt habe er seinem Finanzminister nur signalisieren wollen, wo er bei Vertragsverhandlungen mit Barth "auf Granit" stoßen werde.
Drei Monate später nahm Biedenkopf seinen Abschied. Es verging ein weiteres Jahr, bis der Ausschuss einen Abschlussbericht formuliert hatte. Auf ein Resümee konnten sich die drei Parteien nicht einigen. Die CDU attestierte Biedenkopf, aktiv auf einen zügigen Vertragsabschluss hingewirkt habe. Ein Schaden für das Land sei dadurch nicht entstanden. Die PDS sprach dagegen von der "bisher größter bekannt gewordenen Verschwendung von Steuermitteln". Die Fraktion reichte eine Strafanzeige gegen Biedenkopf und Milbradt wegen Verdachts auf Untreue ein. Die Staatsanwaltschaft Dresden erklärte jedoch, die Tat sei verjährt, und legte die Angelegenheit ohne Klärung der Vorwürfe zu den Akten.
Ex-Minsiter Schommer scherzte über Parteienspende
Wurde Rittinghaus gezwungen zu spenden?
Im Frühjahr 2002 stellte Milbradt sein Kabinett vor. Einige Weggefährten Biedenkopfs waren nicht mehr dabei, unter ihnen Kajo Schommer. Doch schon im Herbst wurde der Ex-Wirtschaftsminister zu einer der Hauptfiguren eines neuen Politskandals. Der ehemalige Geschäftsführer der Sachsenring AG, Ulf Rittinghaus, beschuldigte ihn, beim Verkauf des Zentrums für Mikroelektronik Dresden, kurz ZMD, versprochen zu haben, die Beihilfen an die Sachsenring AG um vier auf 29 Millionen Mark zu erhöhen, wenn die Firma im Gegenzug drei Millionen für die regierungsnahe Imagekampagne im Wahljahr 1999 spendet. Das brachte auch Ex-Finanzminister Milbradt in Bedrängnis, dessen Ressort für die Auszahlung der Beihilfe zuständig war.
Schommer wies umgehend alle Anschuldigungen zurück. Die Opposition witterte aber einen Spendenskandal und sorgte dafür, dass die Sache vor einen neuen Untersuchungsausschuss kam. Noch eher der Ausschuss mit der Arbeit begann, legten die Kontrahenten ihre Argumente dar. Rittinghaus schilderte ein Treffen mit Schommer, bei dem dieser den Sachsenring-Chef aufgefordert haben soll, fünf Millionen Mark für die Sachsen-CDU zu spenden. Er, Rittinghaus, habe das angesichts einer so hohen Summe abgelehnt. Schließlich habe man sich auf die Transaktion über die erhöhten Beihilfen und eine Imagekampagne verständigt. Als Zeugen führte Rittinghaus die Aufsichtsräte an. Er will sie bei einer außerordentlichen Sitzung über die "politische Zwangssituation" und das beabsichtigte Tauschgeschäft informiert haben. Als Beleg dafür sollte ein Vermerk dienen, der die Unterschriften von Rittinghaus und dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden, Helmut Kraus, trägt.
Eine Imagekampagne, finanziert mit Fördermitteln?
Wer steuerte die Werbekampagne?
Kraus bestreitet, das Dokument zu kennen. Er könne es gar nicht unterschrieben haben, weil er sich zum fraglichen Zeitpunkt in den USA aufgehalten habe. Auch die Ex-Aufsichtsräte Werner Kathemann und Carl Hahn bestreiten, von Rittinghaus über den vermeintlichen Deal informiert worden zu sein. Der einzige, der Rittinghaus' Darstellung stützt, ist Manfred Schürer, Betriebsratsvorsitzender und Mitglied des Aufsichtsrates. Er sagt, dass im Aufsichtsrat helle Aufregung über die "Wahlkampfgeschichte für die CDU" geherrscht habe. Um aber die ZMD-Übernahme nicht zu gefährden, habe der Aufsichtsrat zugestimmt.
Schommer bestritt indes, Rittinghaus zu einer Spende aufgefordert zu haben. Die Aufstockung der Beihilfen war als Ausgleich für die Verluste von ZMD gedacht und habe nichts mit der Werbe-Kampagne "Sachsen für Sachsen" zu tun. Sie sei eine Initiative sächsischer Unternehmen gewesen. Davon, dass die Landesgierung doch nicht ganz unbeteiligt war, zeugt ein internes Papier der Hamburger Unternehmensberatung WMP, die mit der Ausführung der Werbe-Kampagne beauftragt worden war. Demnach sollte die Aktion darauf zielen, "deutlich zu machen, was die Landesregierung erreicht hat". Schließlich tauchte ein Brief von WMP-Chef Bilges an Rittinghaus auf, verfasst drei Tage nach dem Gespräch zwischen Rittinghaus und Schommer, mit dem die Affäre ihre Anfang genommen haben soll. Darin schreibt er: "Gut, dass du eine Spende an die CDU abgelehnt hast." Weiter fragt Bilges besorgt: "Wer weiß noch von der Aktion für die Landesregierung?"
Schommer räumte nun seinerseits an, im Gespräch mit Rittinghaus von einer Spende von fünf Millionen Mark gesprochen zu haben. Es habe sich jedoch um einen Scherz gehandelt. Zudem seien Papiere, die ihn belasteten, gefälscht. Seiner Auffassung nach hatte Rittinghaus die Werbe-Kampagne aus eigenem Interesse initiiert. Er sei an WMP massiv beteiligt und habe der Agentur einen Auftrag vermitteln wollen.
Ulf Rittinghaus wollte Sachsenring stemmen und übernahm sich.
Wurde Rittinghaus hintergangen?
Das Motiv für Rittinghaus' Attacken gegen Schommer liegen in der jüngeren Geschichte der Sachsenring AG. 1997 war die Firma als erstes ostdeutsche Unternehmen an den Neuen Markt gegangen. Mit dem frischen Geld wollten die Gebrüder Ulf und Ernst-Wilhelm Rittinghaus Firmenkäufe finanzieren, darunter die Übernahme von ZMD.
Mit dem Kauf von ZMD übernahmen sich die Brüder jedoch und Sachsenring musste unter Insolvenzverwaltung gestellt werden. Nach Ansicht von Rittinghaus' Anwälten hat die sächsische Landesregierung einen maßgeblichen Anteil daran. Sie soll dem Unternehmer die tatsächliche Höhe der Fördermittel, die an ZMD vor dem Verkauf geflossen waren, verschwiegen haben, ebenso die Tatsache, dass die insgesamt 350 Millionen Mark erst von der EU-Kommission genehmigt werden müssten. Solange das Genehmigungsverfahren nicht abgeschlossen war, bekam Sachsenring keine Landesbürgschaften. Diese waren aber Bedingung für die Auszahlung der mit Banken vereinbarten Darlehen.
Um das Unternehmen liquide zu halten, mussten Anteile an ZMD wieder veräußert werden. Gerettet hat es Sachsenring nicht. Im Mai 2002 musste das Unternehmen Konkurs anmelden. Seit September 2003 ermittelt die Staatsanwaltschaft Chemnitz gegen Rittinghaus wegen Verdachts auf Insolvenzverschleppung. Sie zweifelt am Wahrheitsgehalt der Geschäftsbilanzen. Rittinghaus verdächtigt wiederum die Landesregierung, ihn auf diese Weise unter Druck setzen zu wollen.
Akte geschlossen, Fall nicht erledigt
Was in dieser Seifenoper wahr und was erfunden ist, bleibt wohl eine Glaubensfrage. Inzwischen wird Schommer weiter belastet. Er soll über Unregelmäßigkeiten bei Subventionen für ZMD informiert gewesen sein. Das Geld war als Forschungsförderung deklariert worden. Tatsächlich aber sollen damit Verluste ausgeglichen worden sein. Weiter brachte "Der Spiegel" Ministerpräsident Milbradt in Bedrängnis. Er soll 2000 als Finanzminister ZMD eine Bürgschaft von drei Millionen Mark gewährt haben, obwohl die Landesregierung bereits jegliche weitere Hilfe untersagt hatte. Rittinghaus hat nun angekündigt, eine Sammelklage der Sachsenring-Aktionäre gegen Milbradt, Schommer und Beamten des Wirtschaftsministeriums vorbereiten zu wollen.
Der Untersuchungsausschuss indes hat seine Arbeit wegen des bevorstehenden Endes der Wahlperiode eingestellt. Die PDS will jedoch die Ermittlungen auf der Basis bisheriger Erkenntnisse fortsetzen und beabsichtigt, nach der Wahl einen neuen Untersuchungsausschuss einzusetzen.
von Andreas Lutz