Sächsische Zeitung, 16.12.2004
Abweichler sorgen für Krise im Landtag
Grabenkampf. CDU, Grüne und FDP werfen sich gegenseitig Versagen im Umgang mit der NPD vor.
Der Eklat um zwei zusätzliche, anonyme Stimmen für den NPD-Kandidaten bei der Wahl eines neuen Ausländerbeauftragten hat zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen CDU, Grünen und FDP geführt. Der christdemokratische Abgeordnete Lars Rohwer warf der grünen Fraktionschefin Antje Hermenau gestern vor, „aus niederem Konkurrenzdenken“ ein einheitliches politisches Vorgehen gegen die rechtsextreme NDP-Fraktion zu verhindern. Rohwer bezog sich dabei auf Interview-Äußerungen Hermenaus, „mit denen sie ehemalige CDU-Minister gezielt in den Kreis der Verdächtigen und damit in Erklärungsnot bringt“. Solange die Grünen nicht auf solche Angriffe verzichten, sei kein gemeinsames Vorgehen möglich. Rohwer bestätigte, dass ihm der ehemalige Wissenschaftsminister Matthias Rößler (CDU) während der geheimen Abstimmung im Landtag seinen ausgefüllten Stimmzettel gezeigt hatte, um so zu beweisen, dass er nicht den NPD-Kandidaten unterstützt.
„Schweinehunde rauswerfen“
Diese Offenlegung des Wahlgeheimnisses wird von der NPD-Fraktion mittlerweile genutzt, um eine Wiederholung der Wahl zu beantragen. Das Präsidium will darüber am Freitag entscheiden. Nach SZ-Informationen könnte Rößlers Stimme für ungültig erklärt werden. Auf eine Wiederholungswahl soll aber aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit verzichtet werden.
Antje Hermenau wirft der CDU unterdessen vor, das Problem der Abweichler aussitzen zu wollen und dafür selbst eine „demokratische Dauer-Krise“ in Kauf zu nehmen. „Die müssen die zwei Schweinehunde schleunigst in ihren eigenen Reihen ausmachen und rauswerfen, statt scheinheilig woanders Sündenböcke zu suchen.“ Man könne künftig nicht fünf Jahre nur immer mit Fingern auf andere zeigen, sondern müsse handeln.
„Scharfmacher am Ruder“
FDP-Fraktionschef Holger Zastrow kritisiert dagegen beide Fraktionen. Mit ihrem Auftreten würden sie „die Rechten nur weiter stärken“. So sei es „dumm und beleidigend“, wenn führende Christdemokraten gezielt streuen, die Abweichler seien in den Reihen der liberalen Fraktion zu finden, obwohl die CDU-SPD-Koalition bisher bei jeder geheimen Abstimmung im Landtag weniger Stimmen erhielt, als sie Mandate besitzt. „Dem Land droht die Handlungsunfähigkeit, und die Koalition unternimmt nichts.“ Speziell die CDU grenze die Opposition weiterhin rituell aus, statt mit ihr in schwierigen Zeiten gemeinsam etwas für das Land zu tun.
Den ebenfalls oppositionellen Grünen hält Zastrow vor, sie würden „nur Öl ins Feuer gießen, statt sich unter Demokraten zu verständigen“. Sein Fazit: Zwei Monate nach der Wahl hätten im Landtag die Scharfmacher das Sagen.
Von Gunnar Saft