WELT am Sonntag, WAMS, 23.01.2005
Furcht vor Rechtsbündnis wächst
Eklat um NPD im sächsischen Landtag stößt neue Debatte über Umgang mit rechtsextremen Parteien an
Der Protest der NPD im sächsischen Landtag gegen das Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus hat Empörung und neue Debatten über den Rechtsextremismus ausgelöst. "Das blamiert das Ansehen der Bundesrepublik weit über ihre Grenzen hinaus", sagte CDU/CSU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz nannte den Auftritt der NPD "geistiges Brandstiftertum". Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, die NPD stelle offen ihre antisemitische, rassistische und rechtsextreme Geisteshaltung zur Schau. Dies müsse auf Widerstand aller Demokraten stoßen.
Die NPD-Abgeordneten hatten bei einer Landtagssitzung am Freitag den Saal verlassen, als Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) zum stillen Gedenken an die Opfer des Holocaust aufgerufen hatte. Zuvor hatte die NPD beantragt, ausschließlich an die Opfer der alliierten Bombenangriffe auf Dresden am 13. Februar 1945 zu erinnern. In einer Rede bezeichnete der NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel diesen Angriff in der Debatte als "Bomben-Holocaust".
Die NPD war in Sachsen im vergangenen Jahr erstmals seit 1968 wieder in ein deutsches Landesparlament eingezogen. Vor einer Woche hatten NPD und DVU sich verständigt, bei der Bundestagswahl 2006 gemeinsam auf der NPD-Liste anzutreten. Damit wächst die Furcht vor dem Erfolg eines Rechtsbündnisses 2006.
Die PDS-Fraktion im Landtag will nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Spiegel", einen neuen Antrag auf ein Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht auf den Weg bringen. Im Jahr 2003 war Innenminister Otto Schily (SPD) mit einem derartigen Verbotsantrag gescheitert, nachdem bekannt geworden war, daß zahlreiche Zeugen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) waren.
Die Staatsanwaltschaft kündigte Ermittlungen gegen NPD-Abgeordnete wegen des Verdachts der Volksverhetzung an. Experten sehen dafür nur begrenzte Chancen. Laut sächsischer Verfassung dürfen Meinungsäußerungen im Landtag nicht strafrechtlich verfolgt werden. Einzige Ausnahme ist Verleumdung. "Der Auszug der NPD ist als Meinungsäußerung zu werten", sagte der Verfassungsrechtler Josef Issensee. "Die Staatsanwaltschaft kann da gar nichts tun."
Der Zentralrat der Juden nannte die NPD-Äußerungen "eine perfide Relativierung auf Kosten sämtlicher Opfer". Der Eklat sei eine neue "Provokation an die Adresse der etablierten Parteien und aller Demokraten".
Ganser verteidigte das NPD-Verhalten. "Wir hatten fristgerecht einen Antrag zum Gedenken der Opfer der Bombenangriffe gestellt", sagte er. Als der Landtag diesen zum Gedenken für alle Opfer der Naziherrschaft ummünzte, habe sich die Fraktion "überrumpelt" gefühlt und im Affekt das Plenum verlassen. Nur Opfern der Nazis zu gedenken, sei "selektive Erinnerungskultur". jr/lac/mao