Freie Presse Chemnitz - Stollberger Zeitung, 29.01.2005
Demografische Falle
Leitartikel von Christoph Ulrich
Die deutsche Gesellschaft hat sich in eine demographische Falle manövriert. Im Streben nach Geld, Erfolg und Selbstverwirklichung haben sich die Werte verschoben. Das Leitbild des flexiblen, anpassungsfähigen und erfolgsorientierten Arbeitnehmers, ob Mann oder Frau, bestimmt heute den Zeitgeist bis in die Chefetagen. In diesem Umfeld individualistischer Lebensentwürfe haben Kinder oder gar ein traditionelles Familienleben kaum noch einen Platz.
Familien mit drei und mehr Kindern rücken an den Rand der Gesellschaft.
Einpersonenhaushalte sind in vielen Großstädten schon in der Mehrheit. Familien mit drei und mehr Kindern rücken an den Rand der Gesellschaft. Die Folge: Die deutsche Bevölkerung hat es längst aufgegeben, ihren Bestand zu erhalten. Um die Bevölkerungszahl stabil zu halten, müssten auf je 100 Frauen etwa 210 Kinder geboren werden. In Westdeutschland liegt die Geburtenrate jedoch schon seit mehr als drei Jahrzehnten deutlich darunter. Zurzeit werden im Durchschnitt 136 Kinder von 100 Frauen geboren. In Ostdeutschland sind es sogar nur 108 Kinder.
Deutschland braucht eine ernst zu nehmende Familienpolitik
Dieses Verhalten der Elterngeneration hat einen gewaltigen demographischen Wandel ausgelöst. Die Bevölkerung in Deutschland wird in den nächsten Jahrzehnten drastisch schrumpfen und die Altersstruktur wird sich dramatisch verschieben. Nach den Prognosen der Statistiker wird im Jahre zo5o über ein Drittel der Bevölkerung älter als 6o Jahre sein. Lediglich 16 Prozent werden dann noch jünger als 20 Jahre sein. Heute zählen 21 Prozent zu den Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahren.
Die deutsche Gesellschaft muss sich endlich fragen, ob sie diese Entwicklung ohne Reaktion hinnehmen oder nicht endlich gegensteuern will. Eine ernst zu nehmende Familienpolitik gehört wieder auf die Tagesordnung. Die Entscheidung für Kinder ist aus ökonomischer Sicht vor allem von den Kosten der Kindererziehung und den Einkommen der Paare abhängig. Die wahrscheinlich eintretenden Einkommenseinbußen und der Verlust an Karrieremöglichkeiten wirken wie eine Barriere für den Kinderwunsch. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss deshalb verbessert werden.
Aus dieser ökonomischen Sichtweise ist auch die Entscheidung für Studiengebühren fatal: Letztendlich werden die Eltern diese Mittel bezahlen, sie müssen also in der Phase der Erziehung etwas ansparen und Konsumverzicht leisten, die Kosten der Kinder erhöhen sich, ergo wird es weniger Kinder geben. Bildungspolitik macht aber nur Sinn, wenn es auch junge Leute gibt, die man ausbilden kann.