Frankfurter Rundschau, 29.01.2005
Streit über Straffreiheit der Abgeordneten
Vorstoß der Union für Ahndung von Hetzreden im Parlament stößt auf geteiltes Echo
Die Union will Volksverhetzung im Parlament unter Strafe stellen, um gegen NPD-Hetze vorgehen zu können. In der SPD gebt es Sympathie für die Idee. FDP und Grüne sind skeptisch bis ablehnend.
Berlin · 28. Januar · "Ich brauche keine Belehrung von Herrn Röttgen", schimpft Michael Bürsch. Im Gespräch mit der FR beansprucht er das Copyright für sich. Der Unterschied: Der sozialdemokratische Abgeordnete tat seine Idee nicht in einem Interview kund, sondern speiste sie ebenso diszipliniert wie diskret in den Entscheidungsprozess seiner Fraktion ein.
Dort liegt nun der Arbeitsgruppe Recht seine Initiative vor, Grundgesetzartikel 46 und Paragraf 38 des Strafgesetzbuch so zu ändern, dass nicht nur "verleumderische Beleidigungen" sondern auch "Volksverhetzung" durch einen Abgeordneten von der Straffreiheit parlamentarischer Äußerungen ausgenommen wird.
Die Fraktionsspitze hält sich bedeckt. Er wolle abwarten, wie der Gesetzentwurf aussehe, den der CDU/CSU-Geschäftsführer Norbert Röttgen für die kommende Parlamentswoche angekündigt hat, sagt Hans-Joachim Hacker, als Vizevorsitzender für Rechtsfragen zuständig.
Beim grünen Koalitionspartner fiel die Prüfung ebenso kurz wie vernichtend aus. "Schnapsidee der Union", findet Volker Beck, heute Erster parlamentarischer Geschäftsführer, zuvor Rechtsexperte der Fraktion. Er fände es "mehr als schädlich" fürs politische Klima, wenn sich "in Zukunft Regierung und Opposition nach hitzigen Parlamentsdebatten regelmäßig mit Strafanzeigen überziehen".
Das möchte auch Max Stadler nicht. Der FDP-Rechtsexperte wartet daher mit einem Kompromissvorschlag auf: Die Leugnung des Holocaust, die Beleidigung seiner Opfer - das sollte man unter Strafe stellen, fordert er im Gespräch mit der FR. Das wäre zielgenau, damit bestünde auch die Chance, Vorgänge wie den in Sachsen zu fassen, wo NPD-Abgeordnete versucht hatten, den Völkermord an den Juden dadurch zu relativieren, dass sie ihn mit dem Bombardement Dresdens durch die Alliierten verglichen.
Das hält auch Wolfgang Löwer für vernünftig. Der Bonner Rechtsprofessor hat den Bundestag im Verbotsverfahren gegen die NPD vertreten. Der Begriff der "Volksverhetzung" sei schon heute zu scharf gefasst, dass er etwa US-Juristen kaum verständlich zu machen sei, sagte er der FR. Nach seiner Ansicht wäre es mit einer Änderung des Grundgesetzes und des Strafgesetzbuches nicht getan. Das Strafrecht könne die Bestimmungen der Länderverfassungen über deren Landtagsabgeordnete nicht aushebeln - aber das sei "juristisches Hochreck", eine Frage für die es in der bisherigen Rechtssprechung noch nicht hinreichend Präzedenzfälle gebe.
In einem Punkt aber beruft sich der SPD-Politiker Michael Bürsch zu recht auf den Bonner Rechtsprofessor. Auch Michael Löwer findet es unerträglich, wenn die NPD ihre Hetze dadurch juristisch imprägnieren kann, dass sie im Parlament gesagt wird, bevor sie auf einem Flugblatt erscheint, nach dem Muster: "Wie der Abgeordnete Appelt im sächsischen Landtag sagte..." Deshalb plädiert er für die präzise, nicht für eine allgemeine Grundgesetzänderung.
VON THOMAS KRÖTER
Politische Freiheit
Paragraf 46 des Grundgesetzes sichert dem Abgeordneten Immunität gegen Strafverfolgung zu, außer, wenn er auf frischer Tat ertappt wird oder das Parlament seine Immunität aufhebt.
Die Indemnität sichert seine politische Freiheit im Parlament. Wegen seiner Äußerungen oder einer Abstimmung im Bundestag darf er nicht rechtlich oder sonstwie außerhalb des Parlaments belangt werden. Ausnahme: Verleumderische Beleidigung.
In neun von 16 Landesverfassungen, darunter der sächsischen, sind alle Äußerungen in Ausübung des Mandats geschützt. krö