Neues Deutschland ND, 02.02.2005
Erst einmal einen S-Klasse-Mercedes
100 Tage NPD in Sachsens Landtag / SPD-Fraktionschef Weiss: »Demagogie à la Goebbels«
100 Tage nach der, Konstituierung des sächsischen Landtags im Oktober 2004 erweist sich der von der NPD geführte Anti-Hartz-Wahlkampf als bloßes demagogisches Sprungbrett ins Parlament.
Die Analysten waren sich bereits kurz nach der sächsischen Landtagswahl im September des vergangenen Jahres einig. Die Hartz-IV Reform war das politische Thema, mit dem die NPD im Wahlkampf punkten und Wähler weit über das rechtsextreme Spektrum hinaus gewinnen konnte. Doch so vehement, wie die Partei damals auf Plakaten mit geballter Faust zur »Quittung für Hartz IV« aufrief, so wenig hört man dazu seither im Parlament von ihr.
Das zeigt die Bilanz nach 100 Tagen NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Weder wurden von ihr Anträge zu Hartz IV oder zum Arbeitslosengeld Il gestellt noch hat sie parlamentarische Anfragen zu diesem Thema eingereicht. In der nicht gehaltenen, aber von der NPD im Internet dokumentierten »Grundsatzerklärung« ihres Ministerpräsidentenkandidaten - Uwe Leichtenring taucht das Wort Hartz VI - bereits wenige Wochen nach der Landtagswahl nicht einmal mehr auf. Stattdessen hat sich die Fraktion, als- eine ihrer ersten Amtshandlungen, zwei repräsentative schwarze Mercedes-Limousinen der S-Klasse zugelegt.
PDS Plattform für Provokationen
Aus Sicht des PDS-Fraktionsvorsitzenden Peter Porsch entlarvt sich die NPD mit diesem Vorgehen selbst: »Der soziale Protest, der bei ihnen abgegeben wurde«, so Porsch gegenüber ND, diene »erwartungsgemäß« lediglich als Plattform, um, jetzt auch aus dem Parlament heraus, »die Intensität der Provokationen gegen die Demokratie und ein friedliches Miteinander weiter zu steigern«.
Eine Einschätzung, mit der Porsch nicht alleine dasteht. Sein sozialdemokratischer Vorsitzendenkollege Cornelius Weiss spricht in einer Erklärung gar von »einhundert Tagen Demagogie ä la Goebbels«. Für den SPD-Politiker
Karl Nolle sind die NPD-Abgeordneten »Totengräber von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit«, die sich hinter einer Spießbürgerfassade versteckten.
Dass die NPD das Thema Hartz IV im Wahlkampf nur als Mittel zum Zweck missbraucht haben könnte, legt aber nicht allein ihr offenkundiges Desinteresse im Rahmen der Parlamentsarbeit nahe: Es gibt auch ideologische Gründe, wie ein programmatischer Beitrag im Parteiblatt »Deutsche Stimme« mit dem Titel »Arbeitsdienstpflicht als Gemeinschaftswerk« aus dem Jahr 2000 erkennen lässt. Darin heißt es unter anderem: »Wer über Angebot und Nachfrage des freien Arbeitsmarktes keine Stelle bekommt, sollte vom Staat zur gemeinnützigen Arbeit verpflichtet werden.« Eine Position, die wohl kaum mit der aggressiven Anti-Hartz-Rhetorik der NPD im Wahlkampf in Einklang zu bringen ist - die jetzige Zurückhaltung aber durchaus verständlich erscheinen lässt.
Ähnlich zurückhaltend hat die NPD-Fraktion in den ersten 100 Tagen die von ihnen viel beschworene »Volksnähe« gehandhabt. Die zwölf Abgeordneten haben bis dato noch keine eigenen Wahlkreisbüros eröffnet. Dabei erhält jeder sächsische Parlamentarier, insbesondere zur Finanzierung eines Bürgerbüros, zusätzlich zu seinen Diäten eine monatliche steuerfreie Aufwandspauschale von 1104 Euro. Wofür das Geld stattdessen verwendet wurde, ist unklar.
Büros nur in strategisch wichtigen Orten
Aus internen Quellen ist - darüber hinaus bekannt geworden, dass auch gar nicht geplant sei, für alle NPD-Abgeordnete ein eigenes Büro einzurichten, um vor Ort ansprechbar zu sein. Viel mehr ständen parteiorganisatorische Überlegungen im Vordergrund. Weshalb derzeit nur in strategisch wichtigen Orten wie Leipzig, Dresden, Pirna, Grimma und Sebnitz nach passenden Räumlichkeiten gesucht werde.
von Carsten Hübner