Dresdner Morgenpost, 28.02.2005
Schonungslose Analyse für Milbradt & Co.
Professor Jesse: Deshalb verlor die CDU die Wahl
WURZEN - Die Krise in Sachsens CDU: Auf der ersten Regionalkonferenz am Wochenende in Wurzen erklärte Parteienforscher Eckehard Jesse der Union, was schief lief und was jetzt passieren muss.
Im Grunde kennt die CDU ihre Fehler Im Dezember analysierte eine Gruppe um Generalsekretär Michael Kretschmer recht schonungslos die Lage. Das Ergebnis hieß „Zukunft durch Erneuerung". Ob das schon alle CDU-ler verstanden haben, darf bezweifelt werden. Der Führung wird misstraut, gar Milbradts Ablösung als Parteichef verlangt. Also zog die Parteispitze einen unabhängigen Experten zurate. Der Chemnitzer Politologe Eckehard Jesse brachte der Basis die nicht neuen, aber unangenehmen Wahrheiten nahe.
Landespolitik sei im Wahlkampf untergegangen, sagte Jesse. Hartz IV überlagerte fast alles, dazu kam Milbradts Eierei, die auch noch Alt-MP Kurt Biedenkopf per SPIEGEL-Interview geißelte. Jesses Schock Analyse für die Biko-anhimmelnde Basis: „Er blieb dem Wahlkampf demonstrativ fern" und habe „nichts dafür getan, es seinem Nachfolger zu erleichtern". Milbradt wiederum habe seinen persönlichen Bonus nicht auf die Partei übertragen können. „Offenbar streichelte der Münsteraner die sächsische Seele zu wenig."
Hinzu kamen „Laxheit und Arroganz bei CDU-Repräsentanten", die trotz der Pleiten bei Europa- und Kommunalwahl die Landtagswahl als „gelaufen" sahen und „den Ernst der Lage verkannten". Folge: Rund 300 000 Ex-CDU-Wähler blieben daheim.
Nun sei „Fraktionsdisziplin wegen der knappen Stimmenverhältnisse notwendig", sagte Jesse. Darüber hinaus müsse „die Union wieder die politische Agenda bestimmen und nicht die NPD". Die CDU solle „heikle Themen nicht tabuisieren, den rechten Rand integrieren, sich von der PDS abgrenzen, sie aber auch nicht undifferenziert mit der NPD gleichsetzen. Die Union sei mehrheitsfähig, so Jesse. „Freilich steht nicht fest, ob die Partei angesichts des Wahlschocks zu Geschlossenheit zurückfindet."
Von Stefan Locke