Freitag, Die Ost-West Wochenzeitung, 01.04.2005
Kummerkasten für Stumme: NPD IM ERZGEBIRGE
Erst auf den zweiten Blick kommt der nationalistische Sumpf zum Vorschein
Ingo le Beau ist nicht nur einer der obskuren NPD-Wähler, vor deren Undurchschaubarkeit die etablierten Parteien so viel Angst haben. Er ist kurz vor den Landtagswahlen im vergangenen Jahr auch Mitglied geworden, in Annaberg, der heimlichen Hauptstadt des Weihnachtslandes Erzgebirge, wo er zu Hause ist. Zur NPD habe ihn vor allem der Wunsch getrieben, "etwas zu verändern mit Herz und Hand". Denn die Karre stecke im Dreck, im Armenhaus Erzgebirge ganz besonders.
Nur äußerlich passt der stämmige Vierziger ins Nazi-Klischee. Man kann sich Ingo le Beau gut als Wachmann einer privaten Sicherheitsfirma vorstellen, der er auf Arbeitssuche in München auch schon mal war - zum Hungerlohn von 5,60 Euro pro Stunde, selbst im bayerischen Schlaraffenland und als formeller Angestellter einer Chemnitzer Tochterfirma war mehr nicht drin. Was er aber in stockenden Sätzen erzählt, hat wenig mit dem tumben Geschrei fanatischer Glatzen oder den Provokationen einiger Frontmänner im Sächsischen Landtag zu tun.
Der gelernte Fleischer und Koch, der schon als Jugendlicher einmal in einer Ordnungsgruppe mitwirkte, landete nach der Wende auf Umwegen im Münchner Wach- und Sicherheitsgewerbe. Der tägliche Wachdienst prägte sein Weltbild. Darin wimmelt es von schwierigen Ausländern und kleinkriminellen Jugendlichen, denen das System keine Perspektive bietet. Schwierig war das Leben aber auch für Ingo le Beau. Das Pendlerdasein zerstörte seine Ehe. "Als ich eines Freitags nach Hause kam, war die Wohnung leer."
Wer drinnen ein "Café Germania" wie in Berlin erwartet hat, wird enttäuscht
Wie gerufen kam dann das Angebot, eine Kneipe in Annaberg zu pachten, nicht irgendeine, sondern die früher verrufene der NPD. Das Haus in einer steil ansteigenden Seitengasse unweit des Marktes gehört dem wegen Volksverhetzung, Rassismus und Holocaust-Leugnung mehrfach vorbestraften ehemaligen NPD-Bundesvorsitzenden Günter Deckert aus Heidelberg. Deckert hatte schon beim ersten braunen Werbefeldzug Ost nach 1990 seine Liebe zum Erzgebirge entdeckt. Doch die großdeutsche Sache schien lange eingeschlafen in den Bergen, bis 1999 der heutige Landtagsabgeordnete Klaus Baier den NPD-Kreisverband Annaberg gründete. Durch Gespräche mit ihm rückte auch le Beau der NPD näher. Baier und Deckert seien ihm "auf Anhieb sympathisch" gewesen, berichtet das Neumitglied.
S´Kneipl steht klein, unverfänglich und erzgebirgisch freundlich draußen auf dem Schild. Von der anderen Straßenseite grüßt ein jugendlicher Passant den herausblickenden Wirt. Wer drinnen eine Art "Café Germania" wie in Berlin erwartet hat, wird enttäuscht. Das Kneipl wirkt bieder, fast gewollt durchschnittlich: Theke, Dart, Billardtisch, ein Schachspiel auf dem Fensterbrett, Ansichtskarten von Alt-Annaberg, ein Porträt von Johann Sebastian Bach. Aber dann doch etwas Passendes: Zwei düstere Amateurgemälde mit den nordischen Göttern Thor und Odin.
Wer kommt hierher? Abstoßende Krawallbrüder jedenfalls sind nicht zu entdecken. Im Harmonie verwöhnten Erzgebirge will auch niemand etwas von tätlichen Übergriffen rechts- oder linksradikaler Gruppen gehört haben. "Wer Stress macht, darf gehen", verkündet Ingo le Beau im Kneipl. Das Gasthaus stehe jedermann offen, auch Ausländer gehörten zur Stammkundschaft. Einer älteren Dame, die mit einem Türken verheiratet sei, will er Hausverbot erteilt haben, weil sie den Hitlergruß zeigte und das Hissen einer Hakenkreuzfahne verlangt habe. "Das ist mein Geschäft, ich lebe davon."
Es bleibt offen, was daran Überzeugung oder Taktik ist. "Das Bild in den Medien widerlegen" will auch der NPD-Abgeordnete Klaus Baier, der bald zum Gespräch hinzukommt. Ist diese Soft-Variante der rechtsradikalen Partei, die sich vom Bild der zumeist westimportierten Scharfmacher im Sächsischen Landtag unterscheidet, die plötzlich wählbare und erfolgreiche? Die 14 Prozent Zweitstimmen am Fuße des Fichtelberges wurden bei der Landtagswahl 2004 nur noch von der Sächsischen Schweiz übertroffen. Und die Tendenz hält an. Im Januar zählte der NPD-Landesverband erstmals wieder mehr als 1.000 Mitglieder. Die regelmäßig von der Staatsregierung in Auftrag gegebene EMNID-Umfrage sieht die NPD auch ein halbes Jahr nach der Wahl bei neun Prozent. Über die Ursachen rätseln die Wahlsoziologen.
Wo die NPD zwar mit gefährlichen Parolen wirbt, nach außen aber ein akzeptables Erscheinungsbild bietet, wie im Erzgebirge, verliert sie in den Augen vieler ihren abschreckenden, extremistischen Charakter. Der freiberufliche Krankenpfleger Klaus Baier bietet ebenso wie Ingo le Beau Ausgestoßenen dieser Gesellschaft für wenig Geld eine Art Asyl. Das spricht sich herum und bringt Stimmen.
Erst auf den zweiten Blick kommt der nationalistische Sumpf zum Vorschein. Der NPD-nahe Erzgebirgische Beobachter beispielsweise beschwört Soldatenpathos und gedenkt ausschließlich deutscher Kriegsopfer. Dann aber sorgen NPD-Stadtratsfraktion und der Kreisverband wieder für komplette Verwirrung, als sie am 27. Januar, dem Auschwitz-Gedenktag, zur PDS-Kranzniederlegung erscheinen. Von der PDS geduldet, weil sie sich "sehr friedlich benommen haben", so deren Kreisvorsitzende Marianne Schölzel.
Klaus Baier appelliert gern an die Gemeinsamkeit der Oppositionsparteien: "Wir differenzieren nicht zwischen guten und schlechten Toten. Hitler und Stalin sind tot, Hartz IV und Sozialabbau aber Gegenwart." Beides spürt das Erzgebirge ganz besonders. Die Arbeitslosenquoten sind hier seit Wendezeiten die höchsten in Sachsen und lagen stets über 20 Prozent.
Noch in Sichtweite des Annaberger Arbeitsamtes sitzt Matthias Lißke, Chef der Wirtschaftsförderung Annaberg. Er zeichnet ein differenzierteres Bild. Denn es gebe auch hochinnovative Klein- und Mittelständler, und die Region habe die zweithöchste Industriedichte in Sachsen. Zugleich sei aber auch die Lohnskala weit gespreizt. "Von dem, was die NPD verbreitet, ist ja manches nicht schlecht und ehrlich gemeint. Man muss den Leuten bloß die Grenze zeigen, wo deren Ideologie gefährlich wird", meint der Wirtschaftsförderer Lißke.
Eine Rückkehr ist fraglich. Es gibt keine Chancen für Akademiker hier oben
Tischlermeister Christoph Düring im nahen Johanngeorgenstadt genießt einen guten Ruf, kann über Aufträge noch nicht klagen. Allerdings nimmt er sie nur noch von Privatleuten an: "Baufirmen sind zu riskant." Und er spürt den Preisdruck, der aber nicht von der unmittelbar benachbarten tschechischen Konkurrenz komme. Deshalb lässt er den NPD-Slogan vom "Ausbluten" der Region nicht gelten. Sebastian, der älteste seiner drei Söhne und gerade Erstwähler, sitzt mit am Tisch. Noch weiß er nicht genau, wo er studieren will. Aber eine Rückkehr erscheint schon jetzt fraglich. "Es gibt keine Chancen für Akademiker hier oben." Wenn sie in der Schule gerade die Weimarer Republik behandeln, sorgt er sich wie sein Vater um mögliche Wiederholungen und ein Erstarken der rechten Kräfte. Nach den Ursachen für den NPD-Zulauf befragt, fallen ihnen aber auch nur formelhafte Erklärungen wie Entkirchlichung, Werteverlust und Arbeitslosigkeit ein. Für Sebastian erliegen die Deutschnationalen seiner Schülergeneration eher einem Kult und Modetrend als hartem Rechtsextremismus.
Das Erzgebirge ist traditionell konservativ, königstreu, schwarz. Und braun? "Deutsch und frei woll´mer sei", heißt es in der Heimathymne. Aber eine besondere Anfälligkeit gegenüber Neonazis weist der Landrat von Aue-Schwarzenberg, Karl Matko (CDU), entschieden zurück. Wenn es eine Regionalkomponente gebe, dann ein besonderes Bedürfnis nach Sicherheit und festgefügter Ordnung. Sein Kreis zeigt außerdem, dass auch starke Parteistrukturen Stimmen bringen. Hier, wo die NPD noch nicht über einen Kreisverband verfügt, erhielt sie drei Prozent weniger als nebenan in Annaberg.
Wirtschaftslage, soziale Erosion, Nostalgie, Strukturkonservatismus und fehlende Perspektiven haben die NPD regional zu einer Art Kummerkasten für die Stummen werden lassen. "Es gibt eben auch in der NPD einen linken Flügel", will Klaus Baier den Zuwachs seiner Partei erklären. Mit diesem sozialistischen Gesicht der janusköpfigen NPD können die etablierten Partei kaum umgehen. Der aus Annaberg stammende sächsische Kultusminister Steffen Flath (CDU) wird gar nicht gern an eine Diskussion im Annaberger Theater erinnert, die eigentlich der Demaskierung der NPD dienen sollte. Sie schlug ins Gegenteil um, in den Tagen darauf gab es 15 Neueintritte. Letzter Ausweg NPD? Die CDU jedenfalls ist als ehemaliger Hoffnungsträger im Erzgebirge out. "Wir sind eigentlich gar keine Volkspartei mehr", räumt Steffen Flath unumwunden ein.
von Michael Bartsch