SPIEGEL online, 13.05.2005
Schlammschlacht der Landesväter
Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt muss erneut einen Tiefschlag einstecken.
Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt muss erneut einen Tiefschlag einstecken. Amtsvorgänger Kurt Biedenkopf hat seinen glück- und glanzlosen Nachfolger wegen einer Bank-Affäre zum Rücktritt aufgefordert. Der erwiderte, er sei "menschlich enttäuscht".
Dresden - 600 Gäste stürmten die sächsische Staatskanzlei. Die Bäckerinnung brachte Torten, der CDU-Fraktionschef einen geschnitzten Reiter: "Georg, der Drachentöter". Es war der 60. Geburtstag von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), es war ein schöner Tag Ende Februar und Thüringens Ex-Premier Bernhard Vogel beliebte zu Scherzen: Er vertrete hier seinen Nachfolger Dieter Althaus, der verhindert sei. "In Thüringen geht so was noch."
In Sachsen schreibt man sich Briefe. Eine gute Woche nach der Sause schickte Biedenkopf seinem Nachfolger einen erst jetzt bekannt gewordenen vierseitigen Brief - "persönlich/vertraulich" - in die Staatskanzlei, um seine Abwesenheit wortreich zu erklären. Der Regierungschef habe sich abfällig über Biedenkopfs Familie geäußert und zudem versucht, auch ihn zu diskreditieren. Und ganz nebenbei geht er seinen Nachfolger frontal an: Er habe politisch versagt und müsse öffentlich dazu stehen - eine klassische Rücktrittsforderung.
Der offenbar gezielt an die Öffentlichkeit lancierte Brief ist ein neuer Höhepunkt in der seit Monaten andauernden öffentlichen Demontage Milbradts. Seit der verheerenden Wahlschlappe im September 2004, bei der die erfolgsverwöhnte sächsische Union 15,8 Prozentpunkte verlor, muss sich der Premier nahezu wöchentlich Angriffen aus den eigenen Reihen erwehren. Nach der jüngsten Attacke von Biedenkopf wird es immer wahrscheinlicher, dass Milbradt im Herbst einen Gegenkandidaten für das Amt des Parteichefs erhalten wird - verliert er den Parteiposten, wäre es der Anfang vom Ende. Schon jetzt wird Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) als Nachfolger des glücklosen Regierungschefs gehandelt.
Biedenkopfs Abrechnung hängt ursächlich mit der so genannten Urkunden-Affäre der Sächsischen Landesbank zusammen. Bei der Affäre stehen ehemalige Führungskräfte der Bank unter Verdacht, Prozessbetrug und Urkundenfälschung begangen und sich der uneidlichen Falschaussage schuldig gemacht zu haben. Der landeseigenen Bank droht eine 140-Millionen-Euro-Klage, die Vorstände des Kreditinstitutes mussten inzwischen ihre Posten räumen. Ein Untersuchungsausschuss im Landtag nimmt sich inzwischen der Affäre an. Für Milbradt ist die Lage misslich. Er hat sich vehement und viel zu lange vor die Chefs der Bank gestellt. Und er trägt als ehemaliger Finanzminister die Verantwortung für teils chaotische Zustände in der einzigen ostdeutschen Landesbank.
Biedenkopf macht zudem alte Rechungen auf. Milbradt habe sich über seinen mit der Affäre beschäftigten Schwiegersohn abfällig geäußert, was ihn an alte Zeiten erinnere. Biedenkopf meint jene Zeit vor drei Jahren, als aus seinem persönlichen Umfeld plötzlich Hinweise auf kostengünstige Einkäufe und preiswerte Mieten auftauchten. Damals hatte Biedenkopf gerade seinen Finanzminister Milbradt mit den Worten entlassen, er sei ein hoch begabter Fachmann, aber ein miserabler Politiker. Seither vermutet das Biedenkopf-Lager Milbradt hinter den Durchstechereien, die letztlich zum Rücktritt führten. Schwer wiegt Biedenkopfs aktuelle Einschätzung zur politischen Verantwortung in der Bank-Affäre. Die trage "allein die Staatsregierung, konkret: der Ministerpräsident und der Finanzminister". Ende 2003 und im Frühjahr 2004 habe er Milbradt persönlich gebeten, die Missstände im Kreditinstitut zu beseitigen. Reagiert hat der erst Anfang 2005.
Dadurch, schreibt Biedenkopf, sei dem Land "während der letzten gut zwei Jahre ein erheblicher Schaden entstanden". Es werde lange dauern, das verloren gegangene Vertrauen wieder zu gewinnen. "Dafür, Georg, trägst Du die politische Verantwortung. Ich erwarte von Dir als meinem Nachfolger, dass Du zu dieser Verantwortung stehst." Es ist genau jene Munition, auf die parteiinterne Kritiker des Premiers gewartet haben.
Der Generalsekretär der sächsischen CDU, Michael Kretschmer, musste am Donnerstag nach der Abstimmung zur EU-Verfassung im Bundestag nur ein Thema beantworten: Biedenkopfs Schreiben. "Ich bin selbst schockiert über diesen Brief", erklärte er gegenüber SPIEGEL ONLINE. Biedenkopf schade dem Land, er habe mit seiner Vorgehensweise "total überzogen", so Kretschmer: "Beim besten Willen, so kann man es nicht machen." Kretschmer erzählte von Anrufen empörter CDU-Mitglieder, die zwar Biedenkopfs Leistungen als Ministerpräsident würdigten, aber "traurig sind über das, was jetzt geschieht".
Der von Biedenkopf angegriffene Ministerpräsident Milbradt wollte sich zur Landesbank nicht äußern - wohl aber zum Stil seines Vorgängers. Er habe sich in den vergangenen Jahren "zum Wohle des Freistaats um ein gutes Verhältnis zu Biedenkopf bemüht", offenbar habe dies aber "keinen Sinn". Und dann fügte er hinzu: "Ich bin menschlich enttäuscht."
Steffen Winter