Frankfurter Rundschau, 14.05.2005
"König Kurt" auf Rachefeldzug
Biedenkopf legt seinem Nachfolger Milbradt Rücktritt nahe / Brief wurde gezielt öffentlich gemacht
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Sie können es nicht lassen: Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und sein Nachfolger Georg Milbradt (beide CDU) zanken sich wie die Kesselflicker. Jetzt wurde ein Brief Biedenkopfs öffentlich, in dem er seinen ungeliebten Nachfolger zur Schnecke macht.
Dresden · 13. Mai · Wenigstens der Anfang klingt noch freundlich. "Lieber Georg", beginnt Alt-Ministerpräsident Biedenkopf seinen Brief vom 4. März an Nachfolger Milbradt. Dann legt er los: "In der letzten Woche hat die Staatskanzlei aus Anlass Deines Geburtstages zu einem Empfang eingeladen. Normal wäre es, dass Dein Vorgänger im Amt der Einladung folgt und Dir zum 60. gratuliert. Du sollst deshalb erfahren, warum ich nicht gekommen bin."
Dann folgen drei weitere Seiten, auf denen Biedenkopf, der von 1990 bis 2002 in Sachsen regierte, kein gutes Haar an Milbradt lässt. Darin geht es vornehmlich um die Sachsen LB, Ostdeutschlands einzige Landesbank, die in den vergangenen Monaten eine Menge Skandale erlebt hat. Es ging um Vetternwirtschaft, eine 140 Millionen Euro-Schadenersatzklage, gefälschte Akten und zu große Dienstwagen. Im Februar musste der Bankvorstand zurücktreten. Zwischen Biedenkopf und Milbradt köchelte das Bankenthema immer wieder hoch, auch weil Thomas Waldow, ein Schwiegersohn Biedenkopfs, Pressesprecher einer der in den Streit verwickelten Firmen ist. Die Landesbank "auf die wir stolz waren, ist notleidend", schreibt Biedenkopf und fordert Milbradt indirekt auf, den Hut zu nehmen. "Georg, Du trägst die politische Verantwortung. Ich erwarte von Dir als meinem Nachfolger, dass Du zu dieser Verantwortung auch öffentlich stehst." Der Brief wurde einigen Zeitungen zugespielt, ganz offensichtlich in der Absicht, Milbradt noch weiter zu demontieren.
Biedenkopf und Milbradt, einst ein Dream-Team, das der sächsischen CDU dickste absolute Mehrheiten im Dresdner Landtag sicherte, können sich nicht ausstehen. Milbradt hat nie verwunden, dass Biedenkopf ihn 2001 als Finanzminister rauswarf und als "hervorragenden Fachmann, aber miserablen Politiker" abmeierte. Als Milbradt dann CDU-Chef wurde und den mittlerweile völlig abhoben regierenden Biedenkopf mit Hilfe der enttäuschten Union vom Ministerpräsidententhron kippte, zürnte "König Kurt". Seitdem schwelt der Streit. Beide taten lange so, als hätten sie einen halbwegs friedlichen Umgang entwickelt. Doch das war immer nur mittelmäßiges Schauspiel: Die beiden Herren haben nie verwunden, was sie sich angetan haben.
Milbradt ist sowieso schon in einer unangenehmen Lage. Bei der Landtagswahl 2004 stürzte er um 16 Prozentpunkte ab, die CDU verlor erstmals die absolute Mehrheit. Seitdem kommt die erfolgsverwöhnte Partei nicht zur Ruhe. Man vermisst den biedenkopfschen Glanz; die Dramen und Peinlichkeiten seiner letzten Amtsjahre sind längst vom Zuckerguss des Vergessens überzogen.
Und von Glanz ist bei Milbradt nichts zu sehen. Einige CDU-Kreisverbände, entlassene CDU-Minister und ein paar Landtagsabgeordnete haben schon aufbegehrt gegen "Georg, den Glanzlosen". Doch den schützt der Umstand, dass es keinen echten Herausforderer gibt, der das Risiko eingehen würde, ihn zu stürzen.
Milbradt jedenfalls sagte nach Veröffentlichung des Briefes, er sei "menschlich tief enttäuscht". Biedenkopf sagte gar nichts. Er war in China. Ob sich Ex-"König Kurt" allerdings einen Gefallen damit getan hat, dass das Schreiben bekannt wurde, darf bezweifelt werden. Der offen ausgetragene Streit der beiden ist Gift für die verunsicherte Union. Genau das wolle Biedenkopf auch, meint ein CDU-Mann. "Verbrannte Erde." Ob die CDU in Sachsen den Bach runtergehe, sei ihm "schnurzegal".
von Bernhard Honnigfort