Sächsische Zeitung, 20.07.2005
Milbradt in der Gerüchteküche
Dresden. Das Gerücht gibt es seit Wochen, jetzt entwickelt es sich zum heißen Thema. Um Ostprofil zu zeigen, so die CDU-Überlegung im Freistaat, könnte Bundeschefin Angela Merkel einen sächsischen Politiker in ihr Kabinett nach Berlin holen. Und immer wieder tauchten dabei zwei Namen auf:
Regierungschef Georg Milbradt und Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU). Der eine sei ein guter Fachmann und damit als möglicher Bundesfinanzminister bestens geeignet; der andere sei mit Merkel gut bekannt und könne eh nahezu alles - Finanzen, Innen, Justiz, Kultus und das Polit-Management im Bundeskanzleramt.
Politisch Fahrt aufgenommen hat die Debatte durch Arnold Vaatz. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Milbradt-Intimus, so heißt es, soll sich jüngst in Berlin für den Sachsen eingesetzt haben. Zwar hat der so Umworbene längst abgewinkt und erklärt, das Amt des Regierungschefs in Sachsen sei "eine wunderschöne Aufgabe". Trotzdem brodelt die Gerüchteküche, auch weil Milbradt Rückenwind von weiteren CDU-Bundestagsabgeordneten erhält.
Pikanterweise gehören dazu nicht zuletzt einige Sachsen, die Milbradt schon mal CDU-intern kritisiert haben. "Ich freue mich, dass der Regierungschef ins Spiel gebracht ist", sagte der Chemnitzer Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz gestern dieser Zeitung. "Milbradt wäre erste Wahl für dieses Amt." Ähnlich sieht es Peter Jahr aus Mittweida, der auch nicht gerade als Milbradt-Anhänger firmiert. "Ich verfolge das mit Sympathie", sagte Jahr auf Anfrage, "Milbradt gehört zu den besten Finanzpolitikern in Deutschland".
Einen Schritt weiter geht Veronika Bellmann aus Freiberg. "Bisher wurde in Berlin nur de Maizière gehandelt", meinte die Milbradt-Vertraute gegenüber dieser Zeitung. Sie begrüße, dass nun auch der Regierungschef im Gespräch sei. Doppelte Begründung: "Ein sächsischer Politiker wäre nicht schlecht im Bundeskabinett", und Milbradt sei einer der wenigen, "der die schwierige Finanzlage im Bund in den Griff bekommen könnte".
Bei Milbradt selbst dürfte solche Fürsprache nicht nur für Freude sorgen. Zum einen ist jeder allzu früh Gehandelte in Gefahr, politisch verbrannt zu werden. Zum anderen will er als bodenständiger Westfale in Sachsen noch einiges bewegen - und vor allem jene Scharte auswetzen, die er und "seine" Union im September 2004 hat einstecken müssen. Bei der Landtagswahl sackte die CDU im Freistaat von 56,9 auf 41,1 Prozent und verlor die absolute Mehrheit. Eben dies, eine CDU-Alleinregierung nach der nächsten Wahl, dürfte eher das Ziel von Milbradt sein als ein Amt im Kabinett Merkel.
Für Sachsen aber hätte sein Wechsel erhebliche Folgen. So setzte dann erneut die Debatte um die Nachfolge ein. Noch vor wenigen Monaten gab es CDU-intern heftige Kritik an Milbradt, und immer wieder wurden dabei de Maizière und Kultusminister Steffen Flath als Erben genannt. Während der Innenminister als glänzender Verwaltungschef gilt, hat der Erzgebirgler Flath das, was de Maizière fehlt: Stallgeruch in der Sachsen-Union. Und bereits heute zeichnet sich ab, dass der mögliche Zweikampf dieser ungleichen Ressortminister die Partei vor eine neue Zerreißprobe stellen würde.
Nicht zuletzt deshalb hat die andere Variante für Milbradt mehr Charme: Ein Wechsel von de Maizière nach Berlin. Dann hätte der Regierungschef einen internen Konkurrenten weniger, die quälende Nachfolge-Debatte wäre vertagt. Darüber hinaus könnte Staatssekretärin Andrea Fischer, die Milbradt-Vertraute in der Staatskanzlei, geräuschlos aufsteigen - zur de-Maizière-Nachfolgerin im Innenressort.
Jürgen Kochinke