ND Neues Deutschland, 06.08.2005
Kneift Schröder vor Lafontaine?
Interview mit Klemens Himpele über den Niedergang der SPD und deren Parteilinke
(Der Diplom-Volkswirt Klemens Himpele ist Kölner Juso-Chef und im Bund demokratischer WissenschaftlerInnen aktiv.)
ND: Die Neuwahlen sind auch ein Druckmittel gegen die Linken in der SPD. Sind die nun »auf Linie«?
Himpele: Das hängt davon ab, was man unter »Linken« versteht. Von der »Parlamentarischen Linken« um Andrea Nahles und Michael Müller kommt derzeit wenig. Offenbar hat man Angst, für eine Wahlniederlage verantwortlich gemacht zu werden. Immerhin hat sich Ottmar Schreiner klar positioniert. Von Ausnahmen wie den Jusos Köln und einzelnen Gliederungen und Personen abgesehen, scheint die Partei nach sieben Jahren Rot-Grün bis tief in die Basis von neoklassischen Dogmen überzeugt, intellektuell entkernt und zu einer Kanzlerwahltruppe degradiert.
Die Regierung hat ihre »Reformen« damit gerechtfertigt, sie würden ja bald Segen bringen.
Wir haben eine klare Beschlusslage gegen den von der Bundesregierung betriebenen Sozialabbau. Hartz IV trifft nicht nur die direkt betroffenen Arbeitslosen sondern auch die (noch) Beschäftigten. Fortschritte für die breite Masse lassen sich nur gegen die Logik des Kapitals durchsetzen. Deshalb haben wir direkt nach der Wahl in NRW einen Kurswechsel eingefordert und konkrete Vorschläge etwa zur Frage der Finanzierung höherer staatlicher Ausgaben gemacht.
Vor der NRW-Wahl versuchte Müntefering, mit Kritik an »Heuschrecken« und Investmentfonds dem Unmut entgegenzukommen.
Die Unterscheidung in gutes und böses Kapital ist lächerlich. Entscheidend ist nicht die Moral der Kapitalisten, sondern die politische Steuerung. Ich habe Müntefering auf dem Bundeskongress der Jusos gesagt, dass wir nicht zulassen können, dass politische Handlungen durch moralische Appelle ersetzt werden. Es scheint den Handelnden nicht klar zu sein, dass der Kapitalismus mit seinen Überakkumulations- und Unterkonsumptionskrisen auch dann politischer Gestaltung bedarf, wenn man ihn nicht zu überwinden trachtet.
Nun tritt die SPD immerhin für eine »Millionärssteuer« ein.
Das Wahlmanifest ist eine Frechheit. Die SPD weicht keinen Zentimeter von ihrer Hartz- und Agenda-Politik ab und will die Körperschaftssteuer weiter senken. Neoliberale Ansätze bleiben: Billige Löhne schaffen Arbeit; Arbeitslose müssen in Billigarbeit gezwungen werden; die Privatisierung der Rente sei »generationengerecht« und die Kürzungen im Gesundheitswesen richtig. Da wird eine »Millionärssteuer« geradezu lächerlich: Wer den Einkommens-Spitzensteuersatz erst um 11 Prozentpunkte senkt, um ihn dann wieder um drei Punkte anzuheben, betreibt Volksverdummung.
Das SPD-Wahlmanifest bezeichnet die Linkspartei als »Variante des Irrwegs«, der den Sozialstaat »in die Finanzkrise« führe.
Die Linkspartei ist die logische Konsequenz einer falschen Regierungspolitik. Ich habe noch auf keiner SPD-Veranstaltung erfahren können, warum das PDS-Steuerkonzept nicht umsetzbar sein soll. Die Linkspartei ist als Bündnispartner zu begreifen. Da sie Menschen eine politische Heimat gibt, die vorher nicht oder nicht mehr aktiv waren, ist sie auch keine Spaltung der Linken, sondern eine Stärkung.
Vor allem Lafontaine wird von der SPD-Führung angegriffen.
Lafontaine hat politische Fehler gemacht, der »Asylkompromiss« sei exemplarisch genannt. Aber er ist auch entschiedener Gegner einer neoklassischen Wirtschaftspolitik und daher als führender Kopf der Linkspartei ein Plus für die Linke. Wenn er angeblich nur »populistisch« ist, warum verweigert Schröder dann das Fernsehduell um ihn zu »entzaubern«?
Fragen: Hans-Gerd Öfinger
und Thomas Gamstätter